Das Gesicht des Bösen
Heydrich
Die Nachwelt kennt Reinhard Heydrich als einen der ruchlosesten Killer des Dritten Reichs: Als Chef der Gestapo und des SS-Geheimdiensts SD war Heydrich maßgeblich an der Verfolgung und Ermordung Zehntausender Hitlergegner beteiligt.
8. April 2017, 21:58
Reinhard Heydrich war ein skrupelloser Mörder, auch ein virtuoser Organisator, eine zerrissene, in sich widersprüchliche Gestalt, ein Mann, der glänzend Geige spielte und als Sportler brillierte, aber auch Hunderttausende ohne Bedenken in den Tod schickte.
Leute wie Heydrich, durchdrungen und getrieben von Geltungssucht, Machtgier und Rücksichtslosigkeit, können zu jeder Zeit und in jeder Gesellschaft für all jene, die ein Gewissen haben, gefährlich werden - wenn man ihnen die Instrumente der Macht in die Hand legt.
Ein Sohn aus gutem Haus
Ursprünglich schrieb Mario R. Dederichs, Redakteur der Hamburger Illustrierten "Stern", bloß eine Zeitschriften-Serie über Heydrich. Das starke Echo auf die Publikation veranlasste ihn später, die Ergebnisse seiner Recherchen zu einem Buch umzuarbeiten. Ein Buch, das seine Herkunft aus dem Geist des Magazinjournalismus nicht recht zu verleugnen vermag: Obwohl Dederichs sorgfältig recherchiert hat, obwohl er sich um sachliche Darstellungslinien bemüht hat, verfällt er dann und wann doch in einen allzu boulevardesken Stil.
Was die äußeren Fakten betrifft, ist Heydrichs Leben gut dokumentiert. Im März 1904 kommt Reinhard Tristan Eugen Heydrich in einem Musikerhaushalt in Halle an der Saale zur Welt. Mutter Elisabeth arbeitet als Klavierlehrerin, Vater Bruno, Komponist und Opernsänger, leitet das von ihm gegründete Konservatorium der Stadt Halle. Ein wilhelminischer Bürgerhaushalt wie viele andere, kaisertreu, nationalstolz, wagnerianisch. Sohn Reinhard wird zum Wunderkind gedrillt, ein zweiter Mozart soll er dem Willen des Vaters zufolge werden, doch daraus wird nichts.
Um seiner schwächlichen Konstitution auf die Sprünge zu helfen, beginnt der Gymnasiast später auch fanatisch Sport zu treiben: schwimmen, fechten, reiten, segeln.
Hier tobte Heydrich seinen lebenslangen Ehrgeiz aus, stets der Beste zu sein. Beim Segeln, erinnert sich eine Zeitzeugin, hatte er immer die gleiche Taktik: Er segelte so, dass er entweder kenterte oder den ersten Preis machte.
Erster Kontakt mit der Rechten
Als Gymnasiast nach dem Ersten Weltkrieg schließt sich Heydrich einem rechtsradikalen Freikorps an, das 1919 bei der Niederschlagung des Spartakistenaufstands in Halle mitwirkt. Im Freikorps kommt Heydrich intensiv mit den rassistischen, antisemitischen Ideologien der völkischen Rechten in Kontakt. Konsequent der nächste Schritt: Der junge Mann geht zur Marine. Auch hier bleibt der komplexbehaftete Heydrich ein Einzelgänger.
Nicht wenigen Zeitgenossen fiel auf, dass Heydrich zeitlebens ein zutiefst zerrissener Mensch blieb. Schon äußerlich zerfiel er in einen zackig-sportlich-harten Soldaten und in einen sanft-höflich-femininen Musenfreund; stechender Blick und schnarrender Ton paarten sich mit zarten Händen und weichen Hüften.
Steile Nazi-Karriere
Ein Mann in seinem Widerspruch. 1931 wird Heydrich einer Frauengeschichte wegen unehrenhaft aus der Marine entlassen. Er heiratet die norddeutsche Landadelige Lina von Osten, eine fanatische Nationalsozialistin. Im Sommer 1931 findet der 27-Jährige Kontakt zu Heinrich Himmler - die wichtigste Begegnung seines Lebens. Heydrich avanciert zur rechten Hand des SS-Chefs, zielstrebig baut er für die NSDAP einen Nachrichten- und Überwachungsdienst auf, den späteren SD.
Nach der Machtergreifung der Nazis geht es steil bergauf mit der Karriere: Heydrich wird zum Mastermind des Terrors, zusammen mit Himmler richtet er das KZ Dachau ein, weitere Lager folgen, 1939 wird er zum Chef des "Reichssicherheitshauptamts" ernannt, der Zentrale der braunen Mord- und Unterdrückungsmaschinerie.
Hitlers Statthalter in Böhmen und Mähren
Im September 1941 ernennt Hitler den Hardliner Heydrich zu seinem Statthalter im Protektorat Böhmen und Mähren. Am 19. November 1941 nimmt Heydrich in der Prager Wenzelskapelle aus den Händen des tschechischen Staatspräsidenten Hacha die sieben Schlüssel zur Krönungskammer der böhmischen Könige entgegen - das Symbol der Unterwerfung Tschechiens unter die deutsche Herrschaft.
Jetzt standen die Männer vor dem Allerheiligsten der Tschechen, der Wenzelskrone. Sie war, so sagte man, mit einem Fluch belegt: Wer diese Krone unbefugt aufsetzt, so lautete die Mär, würde binnen Jahresfrist eines gewaltsamen Todes sterben und danach sein ältester Sohn. Der alte Aberglaube reizte den Draufgänger und Machtmenschen Heydrich. Was sollte einen wie ihn schrecken? Kurzentschlossen setzte sich der 38-Jährige die Krone auf, zum Entsetzen der anwesenden Tschechen.
Der Fluch erfüllt sich
Sechseinhalb Monate später war Heydrich tot; ein Attentat tschechischer Widerstandskämpfer mitten in Prag setzte seinem Leben ein Ende. Bis heute glauben viele Tschechen, dass sich in Heydrichs Tod der Fluch der Wenzelskrone erfüllt hat - und nicht nur da: Eineinhalb Jahre nach dem Attentat kam auch Heydrichs ältester Sohn Klaus bei einem Fahrradunfall ums Leben. Im Alter von zehn Jahren.
All das - und vieles mehr - lässt sich in Mario R. Dederichs Biografie nachlesen, einem materialreichen und instruktiven Band, der die Frage nach den Wurzeln der Heydrichschen Mordlust allerdings unbeantwortet lässt, lassen muss. Leider konnte der Autor die Publikation des Werks nicht mehr erleben: Kurz vor Fertigstellung dieser Biografie starb Mario R. Dederichs an Krebs. Sein "Stern"-Kollege Teja Fiedler hat das Buch nun fertig geschrieben. Eine Pflichtlektüre für an der Geschichte des Dritten Reichs Interessierte.
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Buch-Tipp
Mario R. Dederichs, "Heydrich. Das Gesicht des Bösen", Piper Verlag, ISBN 349204543X