Everybody’s Darling

American Diva

Sie ist eine faszinierende Arabella, Marschallin oder Rusalka: Renée Fleming. Am 12. Juni 2005 hätte sie in Massenets "Thais" mit Thomas Hampson in Wien auftreten sollen, die konzertante Aufführung wurde jedoch wegen einer Erkrankung des Baritons abgesagt.

Musikkritiker schwärmen "von der Schönheit ihrer Stimme und der sanft verhangenen Melancholie", für Cecilia Bartoli geht gar "die Sonne auf, wenn Reneé singt". Renée Fleming, "America's beautiful voice", hat den Schritt zur führenden amerikanischen Diva geschafft, mit enormem Bekanntheitsgrad auch außerhalb der Opern-Community.

Massenets "Thais"

Kein Opernhaus von Rang mag mehr auf sie verzichten - was ihr umso eher die Möglichkeit gibt, sich rar zu machen und speziell ihre Auftritte in Europa sparsamst zu portionieren. Umso größer war die Neugier, mit der dem bevorstehenden Auftritt von Renée Fleming in einer konzertanten Aufführung von Jules Massenets Oper "Thais“ entgegengesehen wurde. Er hätte am Sonntag, 12. Juni 2005 mit Thomas Hampson als Baritonpartner und dem RSO Wien unter Michel Plasson im Wiener Konzerthaus statfinden sollen, aufgrund einer Erkrankung des Baritons musste die konzertante Aufführung jedoch abgesagt werden.

Massenets verführerische Venuspriesterin, die sich von einem charismatischen Mönch zur Enthaltsamkeit bekehren lässt, ist in den USA seit Mary Garden und Maria Jeritza populärer als am europäischen Kontinent.

Debüts mit Mozart

Früh wurde Renée Fleming, Tochter zweier Gesangslehrer aus Indiana, in eine Sängerlaufbahn geleitet. Ein Fulbright-Stipendium brachte sie nach einem Studium an der renommierten Juilliard-School 1984 nach Frankfurt, wo sie bei Arleen Auger weiterlernte und in einer Meisterklasse von Elisabeth Schwarzkopf erfuhr, was gelebte Autorität ist. "Trotzdem bewundere ich sie, nach ihr ging es nicht mehr ohne Wissen um Wortbedeutungen", sagt sie, obwohl sie sich bei der Schwarzkopf fast die Stimme ruiniert hätte. "Als ich zurückkam, hatte ich keine Höhe mehr."

Die kam wieder: 1986 debütierte Renée Fleming als Konstanze am Salzburger Landestheater. 1988 folgte das Aufsehen erregende Debüt als Gräfin in Mozarts "Figaro" in Houston unter Christoph Eschenbach; ein Jahr später begeisterte sie in Mozarts "Cosi" an der Met unter Georg Solti. "Ich habe fast zehn Jahre lang nur Mozart gesungen. Das war die beste Stimm-Schule." Dennoch: "Man muss sich an einem Punkt entscheiden: entweder ich will als Mozart-Sängerin durch die Welt tingeln. Oder alle Opern kennen lernen, alle nationalen Schulen, alle Facetten von Stimmklang."

Vielfältiges Repertoire

Was nun folgte, hätte enden können wie vormals bei Flemings Sopranistenkollegin Cheryl Studer, die vom eigenen Ehrgeiz und dem der Plattenkonzerne in eine "Lasst mich auch den Löwen spielen“-Haltung gejagt wurde und am Ende zwischen unterschiedlichsten Rollen verbrannte, die stimmlich nicht zu vereinbaren waren.

Renée Fleming hat dagegen an den unterschiedlichsten Stilrichtungen mehr genippt als sich in Allmachtsphantasien zu verlieren. Einiges von Richard Strauss, für dessen Arabella, Marschallin, "Capriccio“-Gräfin die Stimme der Fleming wie geschaffen scheint, Antonin Dvoraks "Rusalka“ als Inbegriff der slawischen Romantik, klug Ausgewähltes von Gounod und Massenet, zuletzt an der MET Verdis "La Traviata“, gefolgt (welche Mischung!) von Händels "Rodelinda“.

Erstaunlich wenig singt sie aus dem Bereich des Belcanto. Nach der Rossini-"Armida“ und dem einzigen Fast-Absturz ihrer Laufbahn, Donizettis "Anna Bolena“ an der Mailänder Scala. "Rollen fressen ist riskant. Aber es erfüllt. In Amerika lernen wir alles, weil keine wichtige Oper in unserer Muttersprache geschrieben ist". Wirklich nicht? Waren da nicht die Uraufführungen von Opern amerikanischer Komponisten, an denen Renée Fleming mitgewirkt hat? Coriglianos "Ghosts of Versailles" in New York, Susas "Dangerous Liaisons" und Previns "Endstation Sehnsucht", eine Oper, in der die Partie der Blanche eigens für Fleming komponiert wurde, in San Francisco.

Private Bekenntnisse

André Previn hat sie auch zum Jazz verführt, was Renée Flemings Vortragsstil generell beeinflusst und die Frage aufgeworfen hat: Soll eine Händel-Primadonna wirklich "bluesy" klingen? Aber sogar das passt zum Konzept der "Amerikanischen Diva“. Kritik und Publikum jubeln ihr zu. Sie wird mit Preisen überhäuft und auch die Kollegen lieben sie.

Placido Domingo: "Renée ist mit Sicherheit diejenige Desdemona in meinen vielen Othellos, die ich am wenigsten umbringen wollte.“ Worauf Fleming, geschieden und Mutter zweier kleiner Kinder, kontert: "Ich brauche eben starke Tenöre auf der Bühne. Ohne echte Männer kann ich keine echte Frau sein." Die ist sie im wahren Leben daheim in Conneticut, wo ihre beiden Töchter in die Schule gehen.

Sie beharrt darauf, nicht ihre ganze Lebenszeit dem Opernbusiness aufzuopfern - und ist so gut und gefragt, sich das auch leisten zu können. Beruf und Privatleben unter einen Hut zu bringen, sieht sie als eine ihrer Aufgaben, nachdem eine Ehe bereits in die Brüche gegangen ist.

Davon und von Krisen und Unsicherheiten erzählt Renée Fleming freimütig in ihrer unlängst erschienenen Autobiographie "The Inner Voice - The Making of a Singer“, die sie selbst als "Biografie ihrer Stimme" bezeichnet. Sie ist der Profi "Made in America“, der alle Register in Sachen PR und bei Fotoshootings beherrscht. Oder sie versteht es als blondes "Girl next door" mit treuherzigem Blick, als Primadonna in Pelzstola, als Karrierefrau mit Drei-Wetter-Taft Frisur oder als suchende Selbstzweiflerin: Renée Fleming ist alles.

Buch-Tipp
Renée Fleming, "The Inner Voice - The Making of a Singer", Viking Memoir ISBN 0670033510

Hör-Tipp
Aufgrund einer Erkrankung von Thomas Hampson musste die konzertante Aufführung von Jules Massenets Oper "Thais" im Wiener Konzerthaus abgesagt werden. In Abänderung sendet Ö1 eine CD-Aufnahme der Oper mit Renée Fleming und Thomas Hampson als Protagonisten:
Jules Massenet: "Thais", Sonntag, 12. Juni 2005,19:30 Uhr

Links
Renée Fleming
Wiener Konzerthaus