Verheimlichte Zivilisationskrankheiten
Essstörungen
Schätzungen zufolge leiden 200.000 Österreicherinnen zumindest einmal im Laufe ihres Lebens an einer Essstörung, jedes Jahr kommen 1.500 neue Patientinnen dazu. 95 Prozent der Betroffenen sind Frauen. Essstörungen sind Zivilisationskrankheiten.
8. April 2017, 21:58
Essstörungen sind Zivilisationskrankheiten die in Gesellschaften entstehen, in denen dauerhaft ein Nahrungsmittelüberangebot besteht, und in denen das Essen in hohem Maße über soziale und kognitive Faktoren gesteuert wird.
Ein Kongresses zum Thema Essstörungen beschäftigt sich vom 5. bis 7. September 2005 in Innsbruck mit den Ursachen, den körperlichen Folgen und möglichen Therapieansätzen von Essstörungen.
Anorexie, Bulimie, "Binge eating disorder"
Die Magersucht ist eine Essstörung, die vor allem bei Frauen im Alter von 12 bis 25 Jahren vorkommt. Die Betroffenen versuchen durch Einhalten von strikten Diäten oder Nahrungsverweigerung sowie durch exzessive sportliche Betätigung ein möglichst geringes Körpergewicht zu erreichen und dieses auch zu halten, was unter Umständen lebensbedrohliche Ausmaße annehmen kann.
Die Bulimie tritt vorwiegend bei Frauen im Alter zwischen 15 und 30 Jahren auf. Innerhalb kurzer Zeit werden große Mengen an kalorienreicher Nahrung verzehrt. Um eine Gewichtszunahme zu verhindern, wird nach dem Essen ein Erbrechen der Mahlzeiten selbst herbeigeführt, es wird streng gefastet, Abführmittel, Appetitzügler oder harntreibende Mittel eingenommen.
Charakteristisch für das "Binge eating" sind die regelmäßigen Essattacken. Erst wenn ein unangenehmes Völlegefühl einsetzt und eine weitere Nahrungsaufnahme nicht mehr möglich ist, wird die Essattacke beendet. Danach treten depressive Phasen und Schuldgefühle auf.
Gefühle von Ärger, Frustration oder Langeweile können zu einer Essattacke führen. Essen gilt als Symbol für Liebe und Geborgenheit, durch das unangenehme Empfindungen auf angenehme Empfindungen umgelenkt werden.
Die Rolle der Medien
Nicht nur das Konsumverhalten sondern auch die Medien scheinen bei der Entstehung von Essstörungen eine Rolle zu spielen. Das Fernsehen auf den Fidschi-Inseln veränderte einer Studie zufolge das Schönheitsideal der Bewohner und führte zu Essstörungen bei Frauen. Drei Jahre nach dem Start des ersten und einzigen Senders sind Essstörungen bei jungen Frauen fünf Mal häufiger als in der TV-freien Zeit, berichtete die Psychiatrie-Professorin Anne Becker aus Boston.
Der Sender strahlt vor allem westliche Programme aus und vermittelt damit wahrscheinlich ein neues Schönheitsideal. Zwar sind Werbung und Medien nicht die einzigen Ursachen für die zunehmende Häufigkeit von Essstörungen, Medieneffekte dürften aber zumindest indirekt das Verhalten der Konsumenten beeinflussen und ein Klima schaffen, dem sich Jugendliche oft schwer entziehen können.
Körperliche Folgeschäden
Essstörungen ziehen meist schwerwiegende Schäden nach sich. Bei der Magersucht treten unter anderem Verdauungsbeschwerden, erhöhte Neigung zu Entzündungen, Magenbeschwerden, niedriger Puls und Herzschädigungen, Nierenprobleme bis hin zum Nierenversagen, Blutarmut oder aber Osteoporose auf.
Selbst-induziertes Erbrechen bei bulimischen Störungen kann unter anderem. Zahnschäden und Störungen des Mineralstoffwechsels auslösen. Der häufige Missbrauch von Abführmitteln beeinflusst auch dauerhaft die Magen-Darm-Funktionen. Auch hier kann es durch Störungen des Hormonhaushaltes zur Osteoporose kommen.
Männer und Essstörungen
Meist assoziiert man Bulimie oder Magersucht mit jungen Frauen, allerdings kann es durchaus auch das "starke Geschlecht", wenn auch wesentlich seltener, treffen. Dass die Fallzahlen bei Männern leicht steigen, dürfte auch damit zusammen hängen, dass sie inzwischen häufiger als bisher wegen Essstörungen Hilfe aufsuchen.
Gemeinsam ist den männlichen wie weiblichen Patienten aber eines: sie sind meist sehr jung - der Erkrankungsgipfel ist in der Altersgruppe der 15- bis 19-Jährigen zu finden. Dies ist die Zeit der körperlichen und seelischen Reifungsphase, die von hohem Leistungsdruck, oft verwirrenden körperlichen Veränderungen und allen daraus resultieren Problemen geprägt ist. Essstörungen sind als Ausdruck einer sozialen Reifungskrise zu verstehen, bei der durch Hungern eine Rückkehr in das vorpubertäre Stadium zur Lösung der vielfältigen Verwirrungen und Probleme angestrebt wird.
Neuerdings eine weitere Altersgruppe betroffen
Das gängige Bild von Personen mit Essstörungen beschränkt sich meist auf pubertierende Mädchen oder junge Frauen. Inzwischen ist aber gleichsam eine "neue Generation" von Menschen mit Essstörungen herangewachsen - Frauen, die seit ihrer frühen Jugend erfolglos versuchen abzunehmen und aufgrund von körperlichen oder sozialen Veränderungen mit Essstörungen reagieren.
Psychotherapeutische Einrichtungen in Österreich berichten von immer mehr Frauen jenseits der 40, die diesbezüglich Hilfe suchen.
Hilfe ist möglich
In Österreich gibt es inzwischen spezielle Einrichtungen sowie geschulte PsychotherapeutInnen für Menschen mit Essstörungen, wenn auch noch immer zu wenige. Trotzdem betonen alle Fachleute: eine Heilung ist in den meisten Fällen möglich.
Wahrscheinlich erhalten aber nur etwa zehn Prozent der Menschen mit einer Essstörung eine angemessene Diagnose und Behandlung. Viele Menschen schämen sich wegen ihrer Erkrankung und versuchen sie so lange wie möglich zu verheimlichen. Oft wird lange fälschlicherweise angenommen, jederzeit mit dem "komischen" Essverhalten aufhören zu können. Erst mit der Zeit wird deutlich, dass sich die Problematik dem reinen Willenseinsatz entzieht und dass andere Ansätze zur Veränderung der Situation gesucht werden müssen
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