Beate Winkler, Leiterin des Europäischen Antirassismusbüros
Rassismus ist Angst?
Beate Winkler ist Juristin und Bildungsexpertin. Sie spricht über den widersprüchlichen Zugang der Bevölkerung zu ethnischen Minderheiten, der zwischen Hilfsbereitschaft und Fremdenhass pendelt, je nachdem, wie fern oder nah "der Fremde" ist.
8. April 2017, 21:58
Beate Winkler im Gespräch mit Doris Stoisser
Doris Stoisser: Beate Winkler, Sie leiten die Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Ich kann mir vorstellen, dass es einen breiten Konsens gibt, aber dass diese Befassung nicht sehr beliebt ist.
Beate Winkler: Dieser Name "Europäische Beobachtungsstelle von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit" deckt sicherlich nur den negativen Bereich unserer Arbeit ab. Das Positive und das Faszinierende, was eben unsere Arbeit auch ausmacht, das ist die Frage: Wie geht Europa, die europäischen Gesellschaften, wie gehen wir mit Gleichheiten, mit Vielfalt, mit Widersprüchlichkeiten um, mit "dem Fremden", das kommt da leider viel zu wenig zum Ausdruck.
Das Thema ist so tief geprägt von Angst. Von Verunsicherung. Von Gefühlen. Und wenn Menschen sich verunsichert fühlen, wenn sie Angst haben, nicht mehr mitzukommen durch die Beschleunigung, durch die schnellere Kommunikationsgesellschaft, durch die Globalisierung - alltägliche Erfahrung von Fremdheit führt eben zu Abwehr von allem, was fremd erscheint. Die so genannten Fremden werden richtiggehend zu Fremden gemacht.
Die Ursachen haben mit Übertragung zu tun, mit Zukunftsängsten, mit Angst vor Identitätsverlust, mit Angst vor Beschleunigung, aber daneben natürlich auch ganz handfeste soziale Probleme. Es geht um die Zweidrittelgesellschaft, die sich noch weiter verschärft hat. Um die Erfahrung von Ausgrenzung aus sozialen Systemen. Und das ist ein Mix. Und Sie müssen eben auch diese Komplexität sehen. Aber Sie dürfen dieser Komplexität auch nicht erliegen und gar nichts machen.
Andererseits, trotz partieller Armut, ist Europa so reich wie noch nie?
Ja, es ist enorm. Wenn Sie die Zahlen sehen! Wie sich der nördliche Teil des Mittelmeerraums und der südliche Teil entwickelt. Das sind Scheren! Also wir brauchen uns überhaupt nicht zu wundern, wenn Europa eine solche Faszination für Einwanderung hat. So lange die Verteilung eben so ist, wie sie ist, ist das eine der großen, großen Verantwortungen, die wir haben.
Wenn sich ein Universitätsprofessor aus Kanada in einem Wiener Nobelviertel niederlässt, wird niemand ein Problem mit ihm haben. Ganz anders bei einer wirklich armen Familie, wenn Menschen in Not kommen.
Ich weiß nicht, ob man das so einfach sagen kann. In Notsituationen ist die Hilfsbereitschaft und Aufnahmebereitschaft in der Regel viel größer als wir alle erwartet haben. Das sind auch historische Erfahrungen. Es gibt so etwas wie eine tiefe menschliche Solidarität.
Es kann aber auch das Gegenteil geben. Es gab eine Untersuchung in den 30er Jahren. Da gab es gerade einen großen Konflikt zwischen China und den USA. Tiefe, große Spannungen, gegenseitige Abwehr. Es gab Umfragen unter Hoteliers: "Wären Sie bereit, einen chinesischen Gast aufzunehmen?" 80 Prozent: "Nein!" Zu diesen abwehrenden Hotels wurden Chinesen geschickt. Es war "Research in Action". Und keiner der Hoteliers oder Angestellten, die vorher gesagt hatten "nehmen wir nicht auf", hat einen Gast verweigert. Also das Nahbild ist in der Regel viel, viel positiver als das Fernbild.
Wir haben das jetzt wieder bestätigt durch Untersuchungen von "Eurobarometer" (das ist das große Umfrageinstrument der EU), wo klar und deutlich wurde, dass Menschen, die auf dem Land leben, mit einem minimalen Anteil von Migranten, eine viel größere Abwehr haben als Menschen, die in Städten mit hohem Ausländeranteil leben. Man kann aber - um jetzt auch wieder zu den Widersprüchen zu kommen - nicht sagen: Je mehr Einwanderer, umso geringer die Fremdenfeindlichkeit. So einfach ist das auch wieder nicht.
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Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit