Das Rätsel Shakespeare
Will in der Welt
Über den als Geschäftsmann gescheiterten John Shakespeare wissen wir eigenartigerweise mehr als über seinen weltberühmten Sohn William. Nach vielen Theorien über den "wahren Shakespeare" versucht nun Stephen Greenblatt, das Rätsel Shakespeare zu lösen.
8. April 2017, 21:58
Zahlreiche voluminöse Biografien haben bereits versucht, das "Rätsel Shakespeare" zu lösen. Sie alle basieren letztlich auf mehr oder weniger abgesicherten Spekulationen. Eine extreme Forschungsrichtung dementiert gar die Existenz des Autors Shakespeare.
Auch Stephen Greenblatt kann uns in seiner neuen Shakespeare-Biografie keine neuen, dokumentarisch abgesicherten Erkenntnisse bieten, doch Greenblatt, Begründer einer literaturwissenschaftlichen Forschungsrichtung, die sich "Neuer Historizismus" nennt, spekuliert äußerst lustvoll auf einer nachvollziehbaren Grundlage: Als gründlicher Kenner von Politik, Gesellschaft und Kultur des elisabethinischen Englands liest er Shakespeares Werk als einen seine Epoche kommentierenden Diskurs.
Stürmische Zeit
Die Regierungszeit Elisabeth I. und ihres Nachfolgers Jakobs I. waren eine stürmische Periode der englischen Geschichte. Der Papst hatte die protestantische Königin quasi für vogelfrei erklärt, dilettantische Attentate und Invasionsversuche waren zwar gescheitert, doch die Königin und ihr Nachfolger kompensierten ihre Furcht mit Terror gegen echte und vermeintliche Katholiken.
Shakespeare war nicht nur Zeitgenosse und Zeuge von Foltern, Schauprozessen und extrem grausamen Hinrichtungen, Greenblatt kann belegen, dass der Terror ihm persönlich recht nahe kam und Menschen traf, die er auf Grund von Verwandtschaftsverhältnissen oder seiner öffentlichen Position gekannt haben muss.
Die "verlorenen Jahre"
Eines der Rätsel in Shakespeares Biografie ist das der "verlorenen Jahre", des Jahrzehnts zwischen dem dokumentierten Schulabgang und dem Beginn der Karriere als Schauspieler in London. Hatte der junge Shakespeare auf Grund seines katholischen Umfelds vielleicht guten Grund, seine Spuren zu verwischen? Und kann es nicht sein, suggeriert Greenblatt, dass er diese Vorsichtsmaßnahme ein Leben lang beibehalten und beispielsweise alle schriftlichen Zeugnisse vernichtet hat?
Abgesehen von seiner frühen Eheschließung mit der um acht Jahre älteren Anne Hathaway und vom Tod seines Sohnes Hamnet wissen wir wenig über das persönliche Leben Shakespeares. Greenblatt stellt uns Shakespeare als einen Künstler vor, der von allem Gebrauch machte, was ihm persönlich widerfuhr. Wenn man mit diesem Ansatz arbeitet, dann findet man tatsächlich zahlreiche biografische Konstellationen im Werk in einer Weise angespielt, die Rückschlüsse auf die persönliche Sichtweise des Autors erlauben.
Reflexion im Werk
In den "verlorenen Jahren" ereignet sich der wirtschaftliche Abstieg des Vaters. Spricht der Umstand, dass das verlorene und wiedererlangte Vermögen im Werk häufig thematisiert wird, nicht dafür, dass Shakespeare diesen Abstieg traumatisch erlebt hat? Oder: Shakespeare lässt häufig Paare zusammenkommen, die absolut nicht zueinander passen, und abgesehen von der Ehe der Macbeth' und der zwischen Gertrude und Claudius im "Hamlet" kommen in seinem Werk keine "guten" Ehen vor. Erlaubt das nicht die Vermutung, dass in der 32-jährigen Verbindung mit Anne Hathaway etwas nicht in Ordnung war?
Seit Jahrhunderten jagen unzählige Forscher erfolglos nach Dokumenten, die uns eine gesicherte Annäherung an Shakespeare ermöglichen. Das "Rätsel Shakespeare" wird wohl nie gelöst werden. Doch Stephen Greenblatts gründlich dokumentiertes und dennoch spannend zu lesendes Buch bietet uns die heute größtmögliche Annäherung an "Shakespeare in seiner Welt".
Buch-Tipp
Stephen Greenblatt, "Will in der Welt. Wie Shakespeare zu Shakespeare wurde", Berlin Verlag, ISBN 3827004381