Das Geheimnis der Spiegelneurone

Warum ich fühle, was du fühlst

Wenn sich zwei Menschen gegenüber sitzen und einer gähnen muss, dauert es oft nicht lange, bis auch der andere herzhaft gähnt. Verantwortlich dafür sind die Spiegelneuronen, so der Internist, Psychiater und Psychotherapeut Joachim Bauer in seinem Buch.

Zwei Verliebte stehen sich erstmals nah und ungestört von Angesicht zu Angesicht gegenüber, sein Blick fällt, auch das ergibt sich meist spontan, auf ihren Mund (oder ihr Blick auf seinen). Obwohl kein Wort gesprochen werden muss, ist dieser Blick für beide eine eindeutige Vorhersage dessen, was jetzt kommen wird.

Die Akteure könnten sich jetzt küssen oder aber auch die letzte Möglichkeit nutzen, einem Kuss zu entkommen. Die Fähigkeit, intuitiv auf unser Gegenüber zu reagieren, lässt sich auf die Spiegelneuronen zurückführen, so Joachim Bauer.

Beobachtung genügt

Die Spiegelneuronen wurden erst vor wenigen Jahren bei Versuchen mit Affen entdeckt. Forscher konnten messen, dass die entsprechenden Nervenzellen nicht nur bei der Durchführung einer Handlung aktiv werden, sondern auch bei der bloßen Beobachtung einer Handlung. Eine "interne neuronale Kopie" wird erstellt.

Angesprochen werden die Spiegelneuronen aber nur dann, wenn die Aktionen von "lebenden biologischen Akteuren", also von Personen ausgeführt werden. Spiegelnervenzellen helfen uns, intuitiv zu verstehen, was andere denken, und wir fühlen mit, wenn sie Schmerz oder Ekel empfinden. Unser Leben wird dadurch übersichtlich und vorausschaubar, wir können Reaktionen anderer besser abschätzen.

Babys imitieren ihre Eltern

Die Fähigkeit, Verhalten zu spiegeln, ist aber nicht angeboren, sondern wird von klein auf erlernt. Babys imitieren Gesichtsausdrücke der Eltern und formen Laute nach; das Verhalten der Eltern wird zum Maßstab des eigenen Erlebens.

Es übernimmt die Bewertungen der Eltern sogar dort, wo es um die eigene Befindlichkeit geht. Tritt ein für das Kind unerwartetes, neues oder widriges Phänomen auf, dann wandert sein Blick - optisches Interpretationssystem! - sofort zum Gesicht des Erwachsenen. Das Gleiche passiert, wenn es neben seiner Mutter hinfällt: Es erkundigt sich mit einem spontanen Blick zu ihrem Gesicht, ob ihm dieser Sturz sehr oder nur wenig wehgetan hat.

Kinder, die keine Möglichkeit haben, Signale mit anderen zu wechseln, verlieren die Fähigkeit zum emotionalen Austausch. Erwachsene reagieren ebenfalls stark auf das Fehlen von spiegelnden Signalen. Mobbing ist ein bekanntes Phänomen, bei dem die Blicke und Gesten von Personen übergangen werden. Die Betroffenen leiden unter dem zunehmenden Stress, für sie sind viele Situationen nicht mehr überschaubar.

Die Spiegelungseffekte der Liebenden

Spiegelungen stehen auch in einem engen Zusammenhang zur eigenen Identität. Wir repräsentieren Bilder von anderen Menschen in uns; die Bilder, die wir von uns selbst haben, entstehen auf Basis der Rückmeldungen, die wir über Jahre hinweg von anderen bekommen.

Auch für die Liebe sind die Spiegelneuronen von Bedeutung. Gerade bei flirtenden Personen kommt es zu Spiegelungseffekten, ähnlich wie bei einer Mutter und ihrem Baby. Liebende stellen sich stark auf die Stimmung ihres Partners ein. Intuitiv erkennen sie, wie es diesem gerade geht und reagieren mit Gesten oder Handlungen der Situation entsprechend.

Da wir eigene Schemata benutzen müssen, um jemanden intuitiv zu verstehen, fließt bei diesem Vorgang - gezwungenermaßen - immer eine Menge eigenes Material in die Wahrnehmung des Partners ein. (...) Irgendwann hören wir dann: "Du projizierst etwas in mich hinein!" Die einzig richtige Antwort wäre dann allerdings: "Das haben wir beide von Anfang an gemacht, sonst hätten wir überhaupt keine Liebesgeschichte!"

Für Laien und Fachkundige

Das Buch "Warum ich fühle, was Du fühlst" richtet sich gleichermaßen an Laien und Fachkundige. Ausführliche Fußnoten helfen, die verwendeten Fachausdrücke zu verstehen. Joachim Bauer versucht nicht nur die Bedeutung der Spiegelneuronen in zwischenmenschlichen Beziehungen zu erklären, sondern geht auch dazu über, einen Bezug zu größeren Phänomenen herzustellen. Sogar das schlechte Abschneiden Deutschlands bei der Pisa-Studie und der Nationalsozialismus stehen für den Autor in engem Zusammenhang zu den Spiegelnervenzellen.

Buch-Tipp
Joachim Bauer, "Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone", Verlag Hoffmann und Campe, ISBN 3455095119