Die Manie des Aufbewahrens
Sammeln
Warum häufen Menschen so viele Dinge an, die sie nicht brauchen? Weil sie sie noch brauchen könnten, wie sie meinen. Oder weil sie die Dinge an etwas oder an jemanden erinnern. Sammeln im Namen der Wissenschaft gestaltet sich naturgemäß etwas anders.
8. April 2017, 21:58
Es ist eine riesige Arche Noah, die Ende des 19. Jahrhunderts an der Ringstraße in Wien gestrandet ist, dem Kunsthistorischen Museum direkt gegenüber. Rund 20 Millionen Objekte - darunter 40.000 menschliche Skelette und Schädel, eine ausgestorbene Seekuh-Art, Meteoriten und eben: Millionen von Tierleichen - werden in den Archiven des Naturhistorischen Museums aufbewahrt. Die mit Abstand größte Sammlung ist die der zweiten zoologischen Abteilung, die insektenkundliche Abteilung, die allein rund die Hälfte der gesammelten Objekte ausmacht. Weit über zehn Millionen Insektenpräparate lagern hier.
Wissenschaft hat andere Werte
Insekten zu sammeln - oder andere lebende oder tote Objekte der Natur - war und ist natürlich nicht nur der Forschung vorbehalten. Doch für das wissenschaftliche Sammeln gelten einigermaßen andere Kriterien als für die meisten Hobbykäfer- oder Schmetterlingssammler: Nicht auf den möglichst spektakulären äußeren Schein kommt es an, sondern auf andere Werte:
"Jede Tier- und jede Pflanzenart hat gewissermaßen einen Ausweis, das ist das Typusexemplar, das Exemplar, das der Beschreibung dieser Art zugrunde liegt", erklärt Tropenbiologe Martin Lödl. "Und die sind natürlich besonders wertvoll, weil es Unikate sind und weil sie mithelfen, anderen Wissenschaftlern ihre Arbeit zu erleichtern."
Sammlungen sind wie Bibliotheken
Wenn Objekte der Natur in eine Sammlung geraten, dann geschieht etwas mit ihnen. Das ist gewissermaßen die Grundregel allen Sammelns. Objekte, die in eine naturwissenschaftliche Sammlung aufgenommen werden, erhalten naturgemäß eine wissenschaftliche Bedeutung. Und es ist zudem sehr wahrscheinlich, dass sie für immer Teil dieser Sammlung bleiben werden. Getauscht oder gar weggeschmissen wird von den Mineralien und den anderen Sammlungsgegenständen der Museumsdepots natürlich nichts. Naturwissenschaftliche Sammlungen werden ähnlich angelegt wie eine Bibliothek von Büchern, mit dem Unterschied, dass bei den Mineralien beispielsweise das Ordnungsprinzip die chemischen Zusammensetzung oder die Kristallstruktur ist.
Bei den Insekten wiederum wird nach Arten klassifiziert, zurzeit gibt es rund eine Million davon. Warum das Naturhistorische Museum zehn Millionen aufgespießter Insekten beherbergt, liegt natürlich daran, dass es viele Mehrfachexemplare gibt, wie Martin Lödl erläutert. Und auch die hätten ihren Sinn, da die gemeinsam mit den Insekten angesammelten Daten zoogeografisch, aber auch ökologisch verwertet werden können - je mehr Daten und Tiere, desto besser:
"Je größer Sammlungen sind, umso qualitativ besser werden sie, weil sie mehr Vergleichsmöglichkeiten und damit auch ein viel besseres Netzwerk der Information bieten."
Ein Beitrag zum Bioarchiv
Das wissenschaftliche Bearbeiten dieser riesigen Zahl von Objekten bedeutet aber noch lange nicht, dass das wissenschaftliche Sammlerleben eine monotone Tätigkeit sein muss. Sie hat auch ihre Höhepunkte - vor allem, wenn die Entdeckung bzw. die erstmalige Beschreibung einer neuen Tier- oder Pflanzenart gelingt. Dann kann sich die Forscherin oder der Forscher sogar mit seinem eigenen Namen im Buch der Natur verewigen.
Martin Lödl ist einer der, wenn nicht der weltweit führende Experte, dessen wissenschaftliche Lebensaufgabe in der Komplettierung einer speziellen Sammlung Sammlung besteht:
"Mein spezielles Fachgebiet sind Eulenfalter. Das sind Nachtfalter, relativ unscheinbar. Über 25.000 Arten gibt es weltweit und da habe ich mich auf eine spezielle Gruppe spezialisiert, die vor allem in den Tropen vorkommt. Und das ist schon ein sehr faszinierendes Gebiet, da neue Arten zu entdecken und auch einen Beitrag zu leisten zum gesamten Bioarchiv, das bei uns lagert."
Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 12. August 2006, 17:05 Uhr
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Buch-Tipp
Philipp Blom, "Sammelwunder, Sammelwahn", Eichborn Verlag, ISBN 3821845376
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