Drei Lebensgeschichten

Mein erster Mörder

Vladimir Vertlibs Geschichten drehen sich um die Suche nach Identität und das Hin- und Herdriften zwischen verschiedenen Welten. All das kennt der geborene Russe, heute in Salzburg lebende Autor selbst sehr gut.

Ein Mann, dessen Vater für die Nazis gemordet hat, wird selbst zum Mörder, eine unbescholtene Familie muss innerhalb kürzester Zeit mehrmals ihre Identität wechseln und zwei Freunde werden gegen ihren Willen in den Krieg geschickt: Diese drei Geschichten, die Vladimir Vertlib in seinem aktuellen Buch "Mein erster Mörder" erzählt, handeln allesamt von Menschen, die zwischen politischer Willkür und schicksalhaften Gegebenheiten versuchen, ihre Würde oder einfach nur ihr Leben zu bewahren.

Erfahrungen in der Emigration

Die Suche nach Identität, das Hin- und Herdriften zwischen verschiedenen Welten kennt der Salzburger Autor selbst sehr gut. Er wurde in Russland geboren, ist als Kind von dort ausgewandert und hat mit seiner Familie in verschiedenen Ländern gelebt - bis er dann als Jugendlicher nach Österreich gekommen ist.

Seine Kindheitserlebnisse und seine Erfahrungen in der Emigration hat er zum Großteil in seinen drei bisher erschienen Romanen verarbeitet. In "Mein erster Mörder" setzt er diesen Weg fort. Emigration ist auch hier das zentrale Thema - zum einen aus autobiografischem Interesse und zum anderen weil es bis heute brandaktuell ist.

"Das, was wir, oder was viele Österreicher, viele Europäer als fremd erleben, ist etwas, was um uns herum ist und was zum Teil - für die einen mehr, für die anderen weniger bewusst bzw. unbewusst - in uns drinnen ist", meint Vladimir Vertlib.

Reale Ereignisse

Vertlibs drei Geschichten spielen hauptsächlich in der Vergangenheit, in der Zeit rund um den Zweiten Weltkrieg. Ein Großteil der Erzählungen basiert auf realen Ereignissen, die der Autor gut recherchiert wiedergibt. Vladimir Vertlib hat nicht nur in Geschichtsbüchern und im Internet recherchiert, sondern auch viele Interviews mit Zeitzeugen geführt. Die spannendsten Biografien hat er dann literarisiert und zugespitzt.

"Es ist kein Geschichtsbuch", betont der Autor. "Es ist sehr viel Historisches drinnen, aber es ist Literatur - und Literatur hat immer einen gewissen Spielraum. Literatur bedeutet auch, dass man ironisch ist, dass man augenzwinkert, manchmal ein bisschen kritisch mit historischen Vorstellungen spielt, und dass man Geschichte auch manchmal ein wenig interpretieren und beugen und brechen kann."

Lebendige Erlebnisberichte

Die Erzählungen in "Mein erster Mörder" lesen sich durchaus nicht wie ein verstaubtes Geschichtsbuch, sondern wie lebendige Erlebnisberichte. Antisemitismus und der Nationalsozialismus wurden zwar schon in vielen Romanen zuvor verarbeitet, doch Vladimir Vertlib schafft es auf Grund seiner leichtfüßigen Sprache und den Bezügen zur Gegenwart, erneut aufzurütteln und im Leser Betroffenheit zu erzeugen. Gleichzeitig schafft er es auch, mit Witz und Ironie zu unterhalten.

Mit Vladimir Vertlibs Geschichten darf man in eine Zeit eintauchen, die der unseren so fern, aber auch so nah erscheint. Nah deshalb, weil es hier nicht primär um die Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs geht, sondern vor allem um den persönlichen Umgang mit Extremsituationen, mit denen jeder Mensch in seinem Leben konfrontiert wird. Der Leser kann sich in vielen Details der Erzählungen selbst wieder finden, wie etwa in der tragischen Geschichte "Der Endsieg", die auf Erinnerungen des Wiener Malers Robert Haller basiert. Darin wird die Freundschaft zweier junger Männer geschildert - romantisch und lebensnah.

Neben Bindung, die man als Leser zu den Protagonisten aufbaut, bleibt, nachdem man das Buch zugeklappt hat, vor allem Respekt übrig, Respekt vor Menschen, die in einer Welt überlebt haben, die ihre Spuren bis heute nach sich zieht.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonenntInnen können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Buch-Tipp
Vladimir Vertlib, "Mein erster Mörder. Lebensgeschichten", Deuticke Verlag, ISBN 3552060316