Porträt des Interpreten und Komponisten

Piazzollas "La muerte del angel"

Er war eine einzigartige PersonaIunion von Interpret und Komponist: Astor Piazzolla. Der Schöpfer des Tango Nuevo schrieb nicht Tanzmusik, sondern Musik zum konzentrierten Zuhören: fein nuanciert, neuartig in den Klangfarben und dissonanten Harmonien.

"La muerte del angel": Piazzolla, Ax und Ziegler

Schroffe Akkorde, abgehackte Staccati, pulsierend synkopierte Rhythmen, jähe Zäsuren, messerscharfe Betonungen, gehetztes Fugato, schmerzlich-wehmütige Soli. Welche Musik kommt einem da in den Sinn? Jene von Astor Piazzolla.

Astor Piazzolla, diese einzigartige PersonaIunion von Interpret und Komponist, steht diesmal im Mittelpunkt der Betrachtung. Er hat sowohl Bewunderer im Lager der Klassik, ebenso im Jazz hat und seine Neuschöpfungen des Tangos inspirieren fordern immer wieder zu Neuinterpretationen heraus. "Ich bin ein Tango-Mann, aber meine Musik gibt zu denken. Denen, die den Tango lieben und denen, die gute Musik mögen", so Astor Piazzolla.

Musik zum konzentrierten Zuhören

"Ich spiele eher für Leute, die meine Musik lieben als für Leute, die den Tango lieben", sagte Piazzolla einmal - und das sagt schon Bezeichnendes über das Innovative des Tango Nuevo aus. Er schrieb nicht Tanzmusik, sondern Musik zum konzentrierten Zuhören: fein nuanciert, neuartig in den Klangfarben und dissonanten Harmonien, attackierend im Rhythmus. Komplexe Kammermusik, konzertante Musik, entstanden aus einem Gewirr verschiedener Traditionen. Seine Kompositionen beständen aus zehn Prozent Tangos und 90 Prozent zeitgenössischer Musik, so Piazzolla.

Kein Wunder, dass ihn die Tango-Traditionalisten beschimpften, zur Zeit der Militärjunta aus dem Land jagten und ihn als Totengräber des guten, alten klischeegetränkten Tangos schmähten. Zu radikal, zu schonungslos, zu kantig war seine Handschrift, zu ausgearbeitet die Arrangements, zu viel Freiheit, Leidenschaft für die Musik und Leidenschaft für die eigene, innere Stimme.

Ein Leben für den Tango

Motive aus der populären Musik hat er aufgegriffen und klassische Musik im musikalischen Kontext einer Stadt - Buenos Aires - und eines Landes - Argentinien - geschaffen.

"Ich habe mein ganzes Leben für den Tango gearbeitet, jetzt hoffe ich, dass der Tango für mich arbeitet. Erst mit 60 fing ich an, Geld damit zu verdienen. Jetzt bin ich fast 70 und habe noch viel vor. Ich habe keinen Grund zu klagen. Ich habe mich dafür eingesetzt, woran ich glaubte, nämlich für meine Musik. Und ich musste Gott sei dank nie Hunger leiden. Viele große Musiker lebten und starben in großer Armut und ahnten nicht, dass ihre Musik nach ihrem Tod anerkannt würde. Ich habe diese Anerkennung erlebt".

Durchbruch in Montreux 1986

Die ganz große Zeit des Bandoneonisten und Tango-Erneuerers begann mit Gary Burton in Europa, der Durchbruch geschah beim Jazzfestival Montreux 1986.

Piazzolla war bereits 64 Jahre alt. Lange konnte er diesen Erfolg leider nicht genießen. Auf einer Tournee mit seinem Sextett erlitt er einen Gehirnschlag, von dem er sich nie mehr erholte. Astor Piazzolla starb 1992 im Alter von 71 Jahren.

Buenos Aires als Motor

Eine Aufnahme auf der legendären CD "Las Cuatro Estaciones Porteñas" (Die vier Jahreszeiten), der Sommer, wurde vom ORF 1983 im Wiener Konzerthaus aufgenommen. "Verano Porteno": die Einwohner von Buenos Aires nennen sich Portenos, also ein Sommer in der Seelenstadt des Tangos.

Denn Piazzollas Motor war die Stadt Buenos Aires. Geboren wurde der Sohn italienischer Einwanderer aber in Mar del Plata.

Alles, was das Menschsein ausmacht

"Piazzollas Musik ist die der Fehler und Verwirrungen der Menschen, ... eine Musik, die durch die Arbeit der Hände freigelegt wird, schweiß- und rauchgetränkt mit dem Geruch von Lilien und Urin, voll gespritzt mit der Fülle unseres Tuns, sei es legal oder illegal ... eine Musik, die so wenig rein ist wie alte Kleider, wie ein Körper, voller Speiseflecken und Scham, voller Falten, Beobachtungen und Träume, Wachheit, Vorahnungen, Liebesschwüren und Verwünschungen, voller Dummheiten, Schocks und Idyllen, politischer Überzeugungen, voller Verleugnungen, Zweifel und Bestärkungen ... ", schrieb Pablo Neruda.

Profaner ausgedrückt: In Piazzollas Musik geht es nicht um die schal gewordenen Klischees verruchter Leidenschaften von gestrandeten Menschen, da werden keine aufgewärmten Geschichten von frustrierten Einwanderern und aus Europa verschleppten Prostituierten und prahlerischen Messerhelden erzählt. An Piazzollas Musik fasziniert ihre ungeheure Lebendigkeit, ihre Tiefe, ihre Leidenschaftlichkeit und ihr unerschrockener Blick auf alles, was Menschsein ausmacht.

Piazzolla über seine Lehrer

"Ich hatte zwei große Lehrer: Nadia Boulanger und Alberto Ginastera. Den dritten traf ich im kalten Zimmer einer Pension, in den Cabarets der Vierziger-Jahre, in den Cafés mit Musikbühne und Orchestern, in den Leuten von gestern und heute, im Geräusch der Strassen. Dieser dritte Lehrer heißt Buenos Aires, er weihte mich in die Geheimnisse des Tango ein. Ich bin kein Aufschneider. Meine Musik mag gefallen oder nicht, aber niemand wird ihre Qualität leugnen. Sie ist gut instrumentiert, sie ist neuartig, von diesem Jahrhundert, sie riecht nach Tango, und deshalb wirkt sie auf der ganzen Welt attraktiv. Es hat mich viel gekostet, zu diesem Punkt zu gelangen", so Astor Piazzolla 1990, zwei Jahre vor seinem Tod.

Ax und Ziegler - eine prächtige Ergänzung

Piazzolla hat sich nie zufrieden gegeben, er war ein Perfektionist, von seinen Kollegen geliebt und gefürchtet ob seiner Kompromisslosigkeit beim Musizieren. Wie wichtig als Lehrmeister auch Bach, der Kontrapunkt und der Jazz für ihn waren, zeigt die Aufnahme mit Emanuel Ax und Pablo Ziegler, einem ungleichen Paar:

Der eine ein Klassik-Pianist, der andere ein Tanguero, der argentinische Pianist und langjährige Partner Piazzollas im Quintett. Ax und Ziegler ergänzen sich prächtig - und werden vom Puls und vom melodiösen Zauber der Musik Astor Piazzollas getragen.

Hör-Tipp
Ausgewählt, Mittwoch, 10. Mai 2006, 10:05 Uhr

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