Polen von innen
Gebrauchsanweisung für Polen
Radek Knapps "Gebrauchsanweisung" will kein Reiseführer sein, sondern eine literarische, humoristische Annäherung, gespickt mit Fakten und Eckdaten. Ein Büchlein, das neugierig machen soll auf das Land, das dem Autor bis zum zwölften Lebensjahr Heimat war.
8. April 2017, 21:58
"Über die slawische Seele könnte man 100 Stunden lang debattieren, aber man kann sie nicht beschreiben, man kann ihr eigentlich nur begegnen", meint Autor Radek Knapp, dessen Heimat heute Wien ist, jedoch in Polen aufgewachsen ist.
Eines ist sicher, es sind immer die neugierigen Wesen, die sich in Polen am wohlsten gefühlt haben.
Ein Hoch auf Klischees
Eher unwohl fühlen sich viele EU-Bürger angesichts der 40 Millionen Polen, die jetzt auch zum Club der Europäer gehören, wobei kein Klischee ausgelassen wird: Die Deutschen bauen die besten Autos, die Polen klauen diese am besten. "Und dann gibt es natürlich das Klischee, was ein Pole alles anstellen kann, wenn er einmal eine Wodkaflasche geöffnet hat", so Radek Knapp weiter.
Die Liste der polnischen Trinksprüche ist so lang wie das Autobahnnetz in Deutschland. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie nach dem fünften Gläschen auf den Regenbogen trinken werden, oder auf die offene Flasche, oder auch auf die geschlossene Flasche. Häufig trinkt man auf das rechte Bein, dann auf das linke, niemand weiß, warum.
Krakau versus Warschau
Radek Knapp beschreibt launig das polnische Land mit seinen Wölfen, Wisents, still gelegten Fabriken und reanimierten ehemals klinisch toten Flüssen. Dieses rettende Ufer der Rückständigkeit, wie er es bezeichnet, steht im krassen Gegensatz zur Metropole Warschau und zu seinem geliebten Krakau. Den beiden Städten sei nur die Weichsel gemein, sonst könnten sie gegensätzlicher nicht sein, erklärt Knapp:
"Krakau ist für mich einfach das Gegenteil von Warschau, weil es eben eine Stadt ist, die gerne die Zukunft, die ihr bevorsteht, gegen die Vergangenheit tauschen würde, die sie mal hatte. Und Warschau ist natürlich eine Stadt, die sich jetzt vollkommen in die freie Marktwirtschaft und den Kapitalismus verknallt hat. Die Folgen sind die üblichen: Jeder ist gestresst, weil er sich eine Waschmaschine gekauft hat, die er nicht abbezahlen kann."
Die friedliche Revolution
Sehr dicht ist die Beschreibung der beginnenden 1980er Jahre, als sich die Leute im Bus noch angeregt miteinander unterhielten, durch eine spezielle Stimmung verbunden waren, und auf dem Weg nach Hause spontan Solidarnos-Lieder anstimmten.
Rückblickend war es die friedlichste und harmonischste Stimmung, die jemals in Polen geherrscht hatte. Niemand hatte das Gefühl, an einer Revolution teilzunehmen, sondern vielmehr an einem Fest, über dessen Ausgang kein Zweifel bestand.
Die Jungfrau Maria muss Polin sein
Es gebe zurzeit überhaupt keine politisch-moralische Autorität im Land, konstatiert Knapp. Darum sei der, oder besser: ihr Papst den Polen so enorm wichtig und macht Millionen zu tränenüberströmten Grabpilgern. Die katholische Kirche war für die Polen über die Jahrhunderte hindurch ein Hort der Zuflucht vor Verfolgung jeglicher Art. Das erklärt vielleicht das Paradoxon, dass den meisten Polen zwar kinderlose Ehen suspekt sind, aber sie dennoch auf Priester hören, die keinen Nachwuchs haben dürfen.
70 Prozent der Heiligenbilder in Polens Kirchen sollen übrigens die Mutter Gottes darstellen.
Jedes dritte Kind in Polen ist zudem der Meinung, dass die Jungfrau Maria eine äußerliche Ähnlichkeit mit seiner eigenen Mutter hat und folglich eine polnische Staatsbürgerin sein muss.
Sind sie wirklich so?
Im sehr gelungenen letzten Kapitel seiner Gebrauchsanweisung begibt sich Radek Knapp auf die Suche nach dem idealen Schlusssatz. In der Hoffnung auf kollegiale Hilfe nimmt er an der Lesung eines berühmten polnischen Autors teil. Während er lauscht, lässt er den Blick über seine Landsleute im vollen Krakauer Rathaussaal schweifen.
Ich fragte mich, ob ich sie mit meinem Büchlein halbwegs getroffen habe. Jetzt, wo ich sie hier so sitzen und zuhören sah, war ich mir dessen gar nicht mehr sicher. Ja ich fragte mich, ob so etwas überhaupt möglich ist. Die eigene Heimat ins Herz zu treffen gelingt nur, wenn man weiß, wie sie ist. Und wer weiß das schon?
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