Natur in Natur

Sanfte Strukturen

Der Architekt und Aktionskünstler Marcel Kalberer hat sich in den letzten zwölf Jahren einen Namen als Gestalter von Räumen aus Weidenruten gemacht. Dabei verfolgt der Weidenbau-Aktivist nicht nur ökologische, sondern auch soziale Anliegen.

Die von dem Mitte 50-jährigen Architekten Marcel Kalberer entwickelten Weidenbauten sind mittlerweile in Skandinavien und ganz Deutschland, vor allem in den neuen Bundesländern verbreitet.

Das "offene Klassenzimmer" steht oben auf der Hitliste des Weidenbooms. Unterricht unter dem Blätterdach, in einem Art Pavillon aus Weidengestrüpp, stimmt harmonisch. Denn das Werk ist eine Gemeinschaftsarbeit der Schüler und Lehrer, so Konzept und Ideologie Kalberers. Entastet, gegraben und gepflanzt wird nur in Teamarbeit.

Befähigungsarbeit in der freien Natur

"Randgruppen Selbstwertgefühl zu vermitteln" - das ist Marcel Kalberer wichtig. Arbeitslose, Jugendliche und Ausländer sind ebenso darunter wie viele Frauen, Pensionisten, Hippies und Sinnsuchende.

Da ist zum Beispiel die Gruppe aus Chemnitz, die sich an fast jedem seiner Projekte beteiligt: eine psychiatrische Selbsthilfegruppe depressiver Menschen, die während der Bau- bzw. Anpflanzungszeiten ihre größten Heilungserfolge verzeichnen könne, denn, "wenn sie in so einer offenen Gruppe einfach untertauchen und mitschaffen können. Ich hab es nie gemerkt, dass das Depressive sind."

Meist sind es öffentliche Veranstaltungsräume, die da aus Weidenbögen und -bündeln geschaffen werden. Seit Mai 2004 wächst im steirischen Nationalpark Gesäuse eines seiner Werke vor sich hin. Fünf turmartige Kuppeln, die größte acht mal sechs Meter im Grundriss und neun Meter hoch, werden als Besucherzentrum für Nationalparkgäste genutzt. Natur in Natur. Doch Marcel Kalberer räumt ein: "Städtebaulich-kontextuelle Kontraste wie die in Rostock haben mehr Evidenz."

Grüne Kathedralen und Kronen

Eine der Attraktionen auf der Internationalen Gartenausstellung 2003 (IGA) in Rostock war der bisher größte Bau Kalberers. Im Auftrag der evangelischen und katholischen Kirchen Norddeutschlands bauten über 650 Freiwillige aus 13 Nationen innerhalb von zwei Monaten die grüne Kathedrale für 800 Personen. "Wenn eine solche grüne, wildwuchernde Kathedrale neben einem Plattenbau steht, dann leuchten sie, die Augen", sagt Kalberer. Der Auerworldpalast von 1998 im Weimarerland und der wie eine Krone geformte Victoria-Pavillion, den Kalberer in Malmö für die schwedische Kronprinzessin errichten ließ, sind andere Beispiele seiner Untriebigkeit.

Ohne maschinelle Hilfe werden Weidenruten aus der Umgebung geschnitten, zu 30 Zentimeter dicken Bündeln zusammengeschnürt, nach Modellen und Schablonen Kalberers zu neun und mehr Meter hohen Bögen geformt, Löcher gegraben, die Weidenbögen eingepflanzt - und gewartet. Meist nicht allzu lange. Ein, zwei Monate und die ersten Ruten beginnen auszutreiben. Das Wachstum erst verfestigt die lebendigen Bauwerke und gibt ihnen statische Stabilität.

Nach ein, zwei oder fünf Jahren steht man vor wild verwachsenen Waldhäusern, die an Andersen Märchen erinnern. Die kuppelartigen und turmförmigen Gebilde, denen die meisten Bauten strukturell folgen, kann man dann nur mehr von innen nachvollziehen. Außen sieht man weder Bäume noch Räume vor lauter Weidenwald.

Buch-Tipp
Marcel Kalberer, Micky Remann, "Das Weidenbaubuch“, AT-Verlag, ISBN 3855026491

Links
Sanfte Strukturen - Marcel Kalberer
Weidenhaus
Nationalpark Gesäuse