Von Legenden umworben
Staatsvertrag und Kalter Krieg
War die Zustimmung der Österreicher zur Neutralität nur eine Finte, um die russische Besatzung los zu werden? Diese Frage stellten sich Historiker bei einer internationalen Staatsvertragskonferenz an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
8. April 2017, 21:58
In vielen Köpfen präsent ist die Szene, in der Österreichs Außenminister Leopold Figl am 15. Mai 1955 auf den Balkon des Belvedere tritt und ausruft: "Österreich ist frei. Tatsächlich hat sie aber nie statt gefunden - die österreichischen Verhandler haben dem Volk den Staatsvertrag nur gezeigt. Ein Beispiel dafür, wie Zustandekommen und Hintergründe des Staatsvertrags zum Mythos geworden sind.
Eine andere Legende rund um das wichtigste Dokument der zweiten Republik betrifft die Verhandlungen im April 1955 in Moskau. Der österreichischen Abordnung wird nachgesagt, sie habe sich das Dokument quasi "ertrunken. Diese Vorstellung sei naiv, meinen Historiker dazu nur.
Zeit des Kalten Krieges
Der Staatsvertrag ist primär ein Produkt des Kalten Krieges, mehr als jenes so genannter "vertrauensbildenden" Maßnahmen, meinen Forscher heute.
Die Sowjetunion will Einflusssphäre in der Nachkriegszeit ausdehnen und der Westen das kommunistische Regime eindämmen. Die Teilung des besetzten Österreich in vier Besatzungs-Zonen mit einer besonders stark abgeschotteten Sowjet-Zone im Osten des Landes ist nur ein Beispiel für diesen Kampf um politischen Raum.
Die deutsche Frage
Die Alliierten zerbrechen sich in dieser Zeit primär die Köpfe über die Zukunft Deutschlands, nicht über jene des kleinen Österreich. 1949 war nur eine vorläufige Teilung in Ost- und Westdeutschland vorgenommen worden. Der in der Sowjetunion regierende Stalin hätte den Erzfeind Deutschland am liebsten neutral gesehen.
Deswegen nannte er die Neutralität Deutschlands als Bedingung für eine Wiedervereinigung. Deutschlands Nachkriegskanzler Adenauer misstraute Stalin aber zutiefst und lehnte eine "Neutralisierung - mit der Befürchtung, dann von der Sowjetunion einvernahmt zu werden - ab. Die Folge: Deutschland blieb geteilt.
Stalins Tod eröffnet ein Zeitfenster
Erst nach dem Tod Stalins 1953 öffnet sich das Zeitfenster, in dem der Staatsvertrag plötzlich möglich wird. Die sowjetische Europa-Politik steht vor einem Scherbenhaufen: West-Deutschland schließt sich der NATO an und wird wiederbewaffnet. Stalins Nachfolger Chruschtschow zieht aus dieser außenpolitischen Niederlage Konsequenzen und nimmt dem langjährigen Außenminister Molotow die Außenpolitik und auch die Frage der Österreich-Vereinigung aus der Hand.
Rostislav Sergeev, 1955 Mitarbeiter im sowjetischen Außenministerium, zweifelt heute noch daran, ob sich Österreich mit Überzeugung zur Neutralität bekannt habe oder sie einfach akzeptiert habe, um die Russen aus dem Land zu bekommen.
Der Innsbrucker Historiker Rolf Steininger stützt Sergeevs Mutmaßungen: Letztendlich sei es nur mehr darum gegangen, die Russen aus dem Land zu bekommen. Schließlich habe es sowohl vor als auch nach dem Staatsvertrag viele gemeinsame Geheimaktionen mit der NATO gegeben, wie einzeln auftauchende Militärdokumente belegen.
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