Das menschliche Verhalten

Claire-Denis-Retro

Während Claire Denis seit Jahrzehnten regelmäßig auf die großen Festivals in Cannes, Venedig oder Berlin eingeladen wird, sind ihre Filme im deutschen Sprachraum so gut wie unbekannt. Das Österreichische Filmmuseum zeigt nun eine umfassende Retrospektive.

"Aus jedem ihrer Filme nehme ich etwas Neues mit - einen Ansatz oder eine Idee, auf die ich selbst nie gekommen wäre. Ihre Geschichten drehen sich ausnahmslos um das menschliche Verhalten, aber sie lässt sich niemals dazu hinreißen, über ihre Figuren zu urteilen. Stattdessen finden wir das Herz ihrer Geschichten in den kleinen Details ihres Umfelds oder im Licht, das in ihren Augen aufstrahlt oder manchmal auch erlischt. Hier begegnen wir kleinen Teilchen unserer selbst."

Diese Hommage an Claire Denis hat niemand Geringerer als der US-Regisseur Jim Jarmusch geschrieben, zu finden in der exzellenten Monografie, die pünktlich zur Filmschau im Filmmuseum als Band 1 der neuen FilmmuseumSynemaPublikationen erschienen ist. Als Herausgeber firmieren die Filmkritiker Isabelle Reicher und Michael Omasta.

Alle ihre bisher 23 Films werden im Filmmuseum gezeigt, inklusive ihrer frühen Produktionen und Kurzfilme, sowie ihr neuester Spielfilm, "L'Intrus", der erst vor wenigen Tagen in Frankreich angelaufen ist: Es ist die Geschichte eines älteren wohlhabenden Mannes, der allein mit seinen Hunden an der französisch-schweizerischen Grenze lebt, der beschließt, sich einer Herztransplantation zu unterziehen und sein Leben zu ändern. Er reist nach Südkorea und in den Südpazifik, auf der Suche nach seinem Sohn.

Beziehungen im Mittelpunkt
Wie alle Filme Claire Denis' ist aber auch dieser nicht wirklich nachzuerzählen. Er lebt von vielen Figuren, die um die eigentliche Handlung ihre eigenen Geschichten leben und deren Beziehungen zur Hauptperson nicht genauer definiert werden. Der Handlungsablauf wird immer wieder von Episoden unterbrochen, die vom Betrachter nicht unmittelbar einzuordnen sind, Szenen, die sich im Kopf einer Figur abspielen, die vielleicht in der Vergangenheit passiert sind. Im Mittelpunkt aber steht immer das Begehren im weitesten Sinn und die Sexualität.

Ein Film über Gefühle

Bewusst benützt Claire Denis eine andere Erzählweise, als die, die grosso modo vom US-Fernsehfilm kommt, und die darin besteht, dass man nicht einfach eine Geschichte erzählt, sondern sie bei jeder Einstellung benennen soll. "Bis in die 60er Jahre erzählt der Film viel über das Leben der Menschen, ihre Gefühle, aber auf eine sehr freie Art und Weise, die deswegen trotzdem nicht intellektuell oder abstrakt war, und die die Menschen sehr berührt hat", meint Claire Denis.

Wenn man diese vom US-TV geprägte Erzählweise verlässt, dann sagt man den Leuten, das ist ein Autorenfilm, ein intellektueller Film, so als wäre es etwas Krankhaftes, meint Claire Denis, wohingegen ihre Eltern und Großeltern ins Kino gingen, um Filme zu sehen, die gar nicht intellektuell waren. Sie gingen ins Kino, um einige Zeit in einem dunklen Raum zu erleben.

Fragil, aber treu

Claire Denis arbeitet gern mit den gleichen Leuten. Vor allem ihre Kamerafrau Agnes Godard, die übrigens mit dem Filmemacher nicht verwandt ist. Das birgt zwar eine gewisse Gefahr, da beide sehr ängstlich bzw. fragil sind, aber was besonders wichtig ist: Beide teilen eine gewisse Idee des Kinos, was Film sein soll. "Ich zweifle lieber mit Agnes, als von jemandem anderen beruhigt zu werden", sagt Denis.

Das gleich gilt für ihre Schauspieler: Sie arbeitet gerne mit den gleichen Akteuren: "Wenn man mit einem Schauspieler oder einer Schauspielerin gern arbeitet, so verlangt das nach einem neuen, weiteren Film", findet Claire Denis.

Veranstaltungs-Tipp
"Claire Denis", noch bis 19. Mai, Österreichisches Filmmuseum Wien

Link
Filmmuseum