Gedanken über eine geschleckte Erfrischung

Eiscreme

Die Speiseeis-Saison hat begonnen, Grund genug für eine persönliche Eis-Erinnerung, nämlich das Aufwachsen am Land, jenseits von "Cornetto", "Brickerl" und "Jolly". Alois Schörghuber erzählt vom Eiszapfenlutschen und Speiseeis der Mutter.

Eisessen ist oral-kulinarische Erotik, mit dem Vorteil, dass sie einigermaßen jugendfrei ist und eine vortreffliche Schule in der Einübung mündlicher Zärtlichkeit. Das Schlecken, Lutschen, Saugen, Knabbern, oder "löffelweise Genießen" ist ein variantenreiches Lusterlebnis mit rasanter Halbwertzeit im Taumel eines sinnlichen Erlebnisses, man verwandelt eine kalte, aufregende Schockwahrnehmung in einen lang anhaltenden Nachklang von sich unwiderstehlich ausbreitender Süße im Mund.

Eine gegenläufige Besitzergreifung, einerseits der erfolgreiche Akt einer kulinarisch-frivol oralen Eroberung, andererseits eine unverschämte Okkupation des Geschmacksterritoriums im Mundhöhlenraum durch die eingedrungene Masse, die pure Lustdekadenz.

Eis-Erinnerungen

Aufgewachsen am Land, im Mostviertel, jenseits von Gelati und Jolly, war alles viel elementarer und trotzdem nicht primitiv. Wir haben Schnee gegessen und schon da gab es die verschiedensten Fraktionen, die Pulverschneegenießer oder die Harsch- und Firnschleckfundamentalisten, ich aß ihn am liebsten aus der Hand eines Mädchens, egal welchen, Schnee natürlich. Oder wir lutschten Eiszapfen.

Mein erstes Speiseeis war selbst gemacht, nicht von mir, von meiner Mutter, eine Mischung aus dunklem Pulver und Milch ergab Schokoladeeiswürfel, gefrorene Glückseligkeiten eines kindlichen Daseins.

Dann, noch immer als Kind geriet ich, und ich "schwöre", ohne überkreuzte Finger hinter dem Rücken, in den kulinarischen Eishimmel, in das dörfliche Eldorado der weltweit unübertroffenen Eiscreme-Erzeugung, in den Schlecksehnsuchtsbereich des Herrn Feldhofer, einem gelernten Konditor und Gastwirt meines Heimatdorfes.

Bananeneis ultimativ, "Vanillje", so bestellte ich es damals, und es schmeckte extraordinär, alles was darauf folgte, war eine bedauernswerte Variante ohne "extra".

Gelati in Bibione

Mit dem ersten Auto wurde Ende der 1960er Jahre nach Bibione, Jesolo oder Caorle gefahren. Im Ausland unter Wienern, am großen Sandspielplatz mit Bademöglichkeit. Kaum hatte man einen Schluck Salzwasser geschluckt, therapierte man sich mit Stracciatella, behandelte sich gegen die Hitze mit Himbeer- oder Zitronen-Eis und versuchte sich in der Nachahmung der Flirtkünste italienischer Eisverkäufer; ohne Erfolg, zum Trost gab es "Bacio" in der Tüte.

Damit ist übrigens nicht der oben erwähnte Sittenverfall gemeint. Der bezieht sich auf ein Entwicklung, die immer mehr um sich greift, der Vercremung und Versoftung des Eises. Weil es die schleckende Kundschaft so wünscht, "fetten" Milch, Schlagobers oder Joghurt immer häufiger auch Fruchteise auf, die Ausrottung des Wassereises steht auf dem Spiel, fruchtig säuerliche Kälte, richtiges Eis eben und nicht diese süßedominierten Mund-Kuschelvarianten, die einem nach 15 Sekunden aus der Tüte über die Hand rinnen.

Jedem sein Eis, so soll es sein, aber auch mein Wassereis sollte bestehen dürfen.

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Links
Wikipedia - Eis
Wikipedia - Speiseeis