Kriminalpsychologe Thomas Müller im Gespräch

Der Profiler

Thomas Müller, der den Begriff "Profiler" nicht mag, hat am Fall Jack Unterweger mitgearbeitet. 1991 hat Unterweger, der später wegen Frauenmordes verurteilt wurde, für die Ö1-Reihe "Journal Panorama" eine Reportage gestaltet. Hier ein Ausschnitt.

Jack Unterweger als Reporter im Wiener Rotlichtmilieu

Michael Kerbler: Herr Müller, Sie kennen diese Dokumentation, die Jack Unterweger verfasst hat. Was ist Ihnen da beim Zuhören so eingefallen zur Person Jack Unterweger? Ist Ihnen etwas an seiner Fragestellung aufgefallen?
Thomas Müller: Es ist immer die Frage, wann man sich solche Dinge anhorcht. Im Nachhinein betrachtet, aus kriminalpsychologischer Sicht, ist es die Bestätigung, um was es immer wieder bei diesen Tötungsdelikten geht: um Macht, um die Machtausübung. Wenn die Menschen irgendwann zu dem Punkt kommen, wo sie sagen, sie haben die höchste Machtausübung, über Leben und Tod entscheiden zu können, und sie haben keine Opfer, dann erkennen wir immer wieder, dass sie in Situationen hinein gehen, wo sie Macht haben, um andere Menschen in einer Belastungssituation zu provozieren. Wenn sie den Leiter des Wiener Sicherheitsbüros interviewen und fragen "Na, wie geht's Ihnen bei der Aufklärung dieser Fälle?" Wenn sie Prostituierte, die auf der Straße stehen und Angst haben, fragen "Könnte nicht der nächste, der zu Ihnen kommt, der Gesuchte sein?", dann ist das eine sehr starke Machtkomponente.

Claus Philipp: Wenn Sie sagen, das Material wäre damals nicht sehr brauchbar, relativ unauffällig gewesen, inwiefern ist Material, zum Beispiel so eine Radiosendung, für Ihre Arbeit brauchbar?
Da fällt mir übrigens gerade auf, dass der Unterweger nicht der einzige war, der in die österreichische Kriminalgeschichte eingegangen ist und für den ORF gearbeitet hat.

Was es im Nachhinein ist - und das ist der wissenschaftliche Bereich der Kriminalpsychologie -, ist das zusätzliche Mittel, ein Hilfsmittel, ein kleines Bausteinchen, um mehr und mehr über die Psychopathologie von diesem Menschen zu erfahren. Ich hab in meinem Büro Dutzende von Videobändern, von Tonbandkassetten von Menschen, die im Vorfeld, auch dann, wenn sie nicht Verbrechen begehen, immer wieder versuchen, in Kontakt zu treten mit den Ermittlern, mit den Familien der Opfer und so weiter. Wir müssen das hier nur verbinden. Wir müssen Informationen am Tatort finden, um diese Schlussfolgerungen ziehen zu können. Also nicht mehr im Nachhinein, sondern im Vorhinein. Und das gelingt uns in der Zwischenzeit. Wir wissen heute zum Beispiel viel über die Ablagesituation. Wenn jemand ein Tötungsdelikt begeht, wie er sein Opfer ablegt, daraus können wir den Schluss ziehen, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass er solche Aktivitäten setzt. Und dann sind wir schon einen Schritt weiter.

Sie beschreiben in Ihrem Buch die Vorbereitung auf ein Gespräch mit Unterweger. Wie bereiten Sie sich auf so ein Gespräch vor?
Gespräche, die wir in Hochsicherheitsgefängnissen führen, die entstehen nicht. Sondern die sind sehr, sehr gut vorzubereiten. Wir brauchen sämtliche Informationen über den Tatort, über das Verbrechen selbst, die rechtsmedizinischen, die toxikologischen Erkenntnisse. Weil wir wissen wollen, was am Tatort passiert ist, und was er umgesetzt hat. Und in weiterer Folge lassen wir uns auch die Biografie, sein Verhalten in Gefangenenhäusern geben, mit wem er kommuniziert und so weiter. Denn Sie dürfen nicht vergessen, dass Menschen, mit denen ich in meiner beruflichen Tätigkeit zu tun habe, hochgradig maligne Narzissten sind. Das sind Menschen, die sich nicht selbst erhöhen können, aber um den gleichen Effekt zu erzielen, unterdrücken sie alle anderen. Und wenn ich sie jetzt aus dem Schutz der Gesellschaft heraus nehmen, wenn ich sie in ein Gefangenenhaus gebe, dann haben sie ja diese Möglichkeit nicht, andere zu unterdrücken. Da ist es für diese Leute in der Regel eine willkommene Abwechslung, wenn irgend jemand kommt und jetzt zu sprechen beginnt. Und das muss gut vorbereitet sein. Sie können da nicht auf Luft hineingehen. Sie sollten alle Informationen wissen, um auch herauszufinden, ob jemand lügt oder nicht.

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"Im Gespräch Vol. 7", ORF-CD, erhältlich im ORF Shop