Gestohlene Jugend

Geraubte Jahre

Die Mischung aus persönlichen Berichten und wissenschaftlichen Hintergrundinformationen ist in Herbert Killians Buch gelungen. Die Beschreibungen der Gräuel im GULAG, aber auch die seltenen guten Momente sind ohne Wehleidigkeit in knappem Reportagestil beschrieben.

Herbert Killian, Historiker von Beruf, hat die Distanz von fünf Jahrzehnten gebraucht, bis er mit dem Stoff seines Lebens an die Öffentlichkeit gehen konnte. Als 19-Jähriger war er 1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft geraten. Zwei Jahre später, er war entlassen worden und lernt im Haus der Eltern in Korneuburg für die Matura, ereignet sich jener Zwischenfall, der sein gesamtes Leben veränderte: Killian wird verhaftet, vor Gericht gestellt, wegen Rowdytums als Verbrecher abgeurteilt und nach Kolyma in Nordostsibirien, in die kälteste bewohnte Region der Erde, verschleppt. Unzureichend gekleidet und schlecht ernährt sollen die Gefangenen im Goldabbau arbeiten. Ein Winter dauert neun Monate, und die Temperaturen liegen um minus 50 Grad.

Wichtige Hintergrundinformationen

Die Mischung aus persönlichen Berichten und wissenschaftlichen Hintergrundinformationen ist in Herbert Killians Buch gelungen. Die Beschreibungen der Gräuel im GULAG, der lebensbedrohlichen Krankheiten, der Strapazen, der Quälereien durch Mithäftlinge und Bewacher, aber auch Freundschaften und die seltenen guten Momente sind in einem knappen Reportagestil beschrieben, ohne Wehleidigkeit oder Selbstmitleid.

Im ausführlichen Anhang werden wichtige Hintergrundinformationen und spannende, später recherchierte Geschichten geliefert wie die des Dr. Heinrich Leder, eines geheimnisvollen Arztes, der plötzlich aus dem Lager verschwand. Der Unterschied zwischen dem Status der Kriegsgefangenen und der - wegen angeblicher oder tatsächlicher - Verbrechen Abgeurteilten ist in einem Vergleich anschaulich dargestellt.

Happy End

Nach drei Jahren kommt Killian frei. Für die Kriegsgefangenen werden Heimkehrertransporte organisiert, samt feierlichem Empfang in Österreich. Killian ist auf sich allein gestellt, findet lange keinerlei Unterstützung, weder bei internationalen Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz, noch bei seiner Botschaft. Er muss Lebensunterhalt und Reisekosten verdienen und es sollte noch einmal mehr als drei Jahre dauern, ehe er den 48-stündigen Heimflug antreten kann, aber diese Zeit wird Thema des nächsten Buches sein, an dem Herbert Killian gerade arbeitet.

Die geschichtlichen Recherchen hat er im Rahmen des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung in Graz unternommen. So konnte er auch seinen Strafakt einsehen, der aber mit der Verurteilung endet. Der umfangreichere Personalakt, der die Zeit im GULAG belegen sollte, wird ihm - trotz gegenteiliger Versprechungen - auch bei einer Reise nach Sibirien nicht zugänglich gemacht.

Das Buch über die geraubten Jahre im GULAG endet mit einem Happy End, das kann durchaus verraten werden: Das Urteil wurde 1996 auf ein Jahr Freiheitsentzug herabgesetzt - ein etwas fragwürdiges Ergebnis.

Mehr zum Themenschwerpunkt "Österreich 2005" in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
Herbert Killian, "Geraubte Jahre. Ein Österreicher verschleppt in den GULAG", Amalthea Verlag, ISBN 3850025314