Aus aktuellem Anlass

Wie abgehoben ist die Filmkritik?

Der österreichische Regisseur Andreas Gruber ("Welcome home") hat sich kürzlich Luft gemacht: "Verkopft", "durch und durch ideologisiert" sei ein Teil der Filmkritik, wetterte Gruber in einem "Standard"-Kommentar. Ist da etwas dran?

Natürlich hat Andreas Gruber da pro domo geschrieben: Sein jüngster Film "Welcome home" war nicht von allen Rezensenten freundlich beurteilt worden, dabei lache das Publikum des Films im Kino "viel und gern", so Gruber. Auch wer, wie ich, Grubers Film durchaus gelungen findet, kann sich beim Rundumschlag des gescholtenen Regisseurs zunächst eines Unbehagens nicht erwehren.

Will Gruber wirklich nur eine Filmberichterstattung, die ganz auf den Mainstream setzt und dort, wo die Säle ohnehin schon voll sind, noch mehr Leute hinlockt? Würde eine derart affirmative Filmkritik nicht den fatalen Trend noch verstärken, wonach die Blockbuster aus Hollywood ohnehin schon die breiteste Berichterstattung nach sich ziehen?

Die reine Lehre

Doch andererseits fallen mir auf Anhieb auch Beispiele ein, die Grubers Befund zu stützen scheinen. Da lief etwa jüngst die Komödie "Reine Chefsache" in unseren Kinos: Ein Hollywood-Lustspiel, das zwischen idyllischem Beginn und Happy End immerhin unmissverständlich Kritik an der Globalisierung des Wirtschaftslebens formuliert - also etwas, das man im Unterhaltungsfilm nicht alle Tage vorgesetzt bekommt.

Was lese ich dazu (sinngemäß) in der Wiener Stadtzeitung "Falter": Der Film habe sein im Grunde brisantes Thema an ein Happy End verschenkt, er sei auf halbem Weg stecken geblieben usw. Man kann es natürlich so sehen, aber auch umgekehrt wird ein Schuh draus: Immerhin verpackt der Film zwischen Bürogeplänkel und Lovestory (die, nebenbei bemerkt, hier gar nicht happy endet) doch ein paar Wahrheiten, die vom scheinbaren Eskapismus zurück in die Wirklichkeit führen. Die "reine Lehre" der Filmkritik läuft Gefahr, solche Qualitäten zu übersehen.

Hutus und Tutsis
Noch ein Beispiel, diesmal aus der deutschen Wochenzeitschrift "Die Zeit": Die findet das gerade auch in Österreich laufende Afrika-Drama "Hotel Ruanda" "simpel, feige, infantil". Für alle, die den Film nicht kennen: Der Streifen schildert den ein gutes Jahrzehnt zurückliegenden Bürgerkruieg im afrikanischen Ruanda aus der Sicht jenes (historischen) Hotelmanagers, der mehr als tausend bedrohten Tutsi-Angehörigen das Leben gerettet hatte.

Natürlich ergibt das, in einem Film über einen Völkermord, ein scheinbares Happy End, natürlich bleiben dadurch viele krasse Details des Konfliktes unbelichtet. Doch andererseits: Gelingt es dem Film nicht, gerade mit diesem dramaturgischen Trick Menschen für einen Konflikt zu interessieren, der ihnen seinerzeit völlig gleichgültig gewesen war?

Ich entsinne mich noch gut der Kommentare des unvergessenen Kronen-Zeitungs-"Staberl", in denen mit den ähnlich klingenden Namen der Streitparteien "Hutus" und "Tutsis" gespielt worden war...

Ein Saal voll Glück
Zuletzt noch eine Begebenheit aus meinem Leben: Jemand hatte mich seinerzeit in die Komödie "Und dann kam Polly" verschleppt, einen Film, dessen (dramaturgische, darstellerische, inszenatorische) Schwächen nun wirklich mit den Händen zu greifen sind. Was geschah? Ich saß in einem voll besetzten Saal eines Multiplexkinos am Stadtrand von Wien, und zwischen den Geschehnissen auf der Leinwand und den Leuten im Raum herrschte ein Einvernehmen, das ich nur als totale, glucksende Glückseligkeit beschreiben kann. Niemand hatte offenbar die Kritiken zu diesem Film gelesen und wenn, dann waren sie völlig egal. Da hab ich mich beim Verlassen des Saales dann schon heimlich gefragt, ob ich den richtigen Beruf ergriffen habe.

Mehr zu "Hotel Ruanda" in oe1.ORF.at

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Der Standard - Rezension "Welcome Home"
Der Standard - Kommentar Andreas Gruber