Absurditäten der Kommunikation
Der Tag, an dem Tito starb
Kaum ein anderer hat für die Sprachlosigkeit der ex-jugoslawischen Jugend eine derart treffsichere Sprache gefunden, wie Andrej Blatnik. Seine 15 Jahre alten nun auf Deutsch vorliegenden Erzählungen zeichnen sich durch Schärfe, Brisanz und Aktualität aus.
8. April 2017, 21:58
Na und, sagt Er, wer will mich für den Irrtum richten?
"Apologie" betitelt Andrej Blatnik diese einzeilige Kurzgeschichte in dem Band "Der Tag, an dem Tito starb". Es ist die kürzeste der insgesamt 16 Erzählungen. Die längste hat immerhin 37 Seiten. Der slowenische Autor unterstreicht auch mit diesem Buch sein ungeheures Talent zur Reduktion auf das Wesentliche.
Andrej Blatnik, 1963 in Ljubljana geboren, spielte in einer Punkband Bass und veröffentlichte bereits im Alter von 20 Jahren seinen ersten Erzählband. Er gilt als der führende Vertreter einer neuen slowenischen Autorengeneration und erregte hierzulande vor ein paar Jahren Aufmerksamkeit mit seinem ersten auf deutsch erschienen Erzählband "Das Gesetz der Leere". Und diese Leere zwischen Gedanke und Wort, das Unvermögen, zu kommunizieren, ist nach wie vor das große Thema bei Blatnik.
Literarische "Short Cuts"
Und dann, sagt sie, besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass all unser Schlusssfolgern falsch war. Dass wir die ganze Zeit von falschen Überzeugungen ausgegangen sind, dass wir uns die Dinge verkehrt vorgestellt haben: Das, von dem wir glaubten, damit hätte die Geschichte begonnen, das war genau genommen ihr Schluss. Ja, sagt er, das ist möglich. Natürlich möglich. Dann schweigen beide lange.
"Die Möglichkeit" ist eine weitere Kürzestgeschichte, die völlig unvermittelt einsetzt, ebenso plötzlich endet und alles offen lässt. Blatnik taucht scheinbar willkürlich ein in den Alltag seiner Protagonisten und protokolliert deren Entfremdung, die zumeist mit gestörter Kommunikation zusammenhängt.
Da ist ein kleiner Bub, der zwischen der Story eines soeben im Kino gesehenen Horrorfilms und der eigenen Wirklichkeit nicht zu unterscheiden vermag; da fehlt auch nicht der Ehemann, der eine Geliebte erfindet, weil er sich einbildet, so seine Umgebung beeindrucken zu können; und da ist ein Mädchen, das von zwei gelangweilten Polizisten bedrängt wird - im "short cuts"-Stil eines Robert Altman stellt Andrej Blatnik seine Charaktere in den Fokus seiner schonungslosen Betrachtungen.
Diskrepanz zwischen Denken und Tun
Natürlich liebe ich dich, sagt er in den Hörer.
Sag ihr, dass du lügst, sagt sie leise. Sag es ihr.
Wirklich, sagt er. Wirklich.
Du weißt, dass du mich liebst, sagt sie entschlossen. Mich.
Obwohl du es nie zeigst. Obwohl du glaubst, dass du es nicht zeigen darfst.
Er lässt die Hand mit dem Hörer an der Hüfte hinunter. Wie weißt du das? sagt er.
Deine Haut sagt es mir, sagt sie ruhig.
Blatniks Figuren sind selbstzerstörerisch, verletzlich oder gewalttätig. Gemeinsam ist ihnen die Verlorenheit in ihren einsamen Gedankenwelten. Lakonisch beschreibt er die Diskrepanz zwischen ihrem Denken und ihrem Tun und zeigt so, wie leicht dieses Kräfteverhältnis aus dem Gleichgewicht gerät. Ein falsches Wort, oder ein falscher Blick haben völlig unerwartete Konsequenzen.
Als Leser ertappt man sich immer wieder dabei, den wie ferngesteuert agierenden Menschen helfen zu wollen. Warum läuft der kleine Bub nicht weg? Warum sagt der Ehemann seiner argwöhnischen Gattin nicht einfach, dass er Nächte lang spazieren geht und Musik hört und keine Affäre hat?
Alt, aber gut
Obwohl die jetzt auf Deutsch vorliegenden Erzählungen bereits vor 15 Jahren erstmals erschienen sind, haben sie nichts an Schärfe, Brisanz und Aktualität verloren. Andrej Blatnik versteht es den zwischenmenschlichen Horror, oft ausgelöst durch geringfügige Abweichungen vom alltäglichen Trott, in all seinen düsteren Facetten auszuloten. Nichts wird kommentiert, auch auf jegliche Psychologisierung verzichtet der Autor, statt dessen konzentriert sich Blatnik auf die absurden Momente zwischenmenschlicher Kommunikation. Andrej Blatnik erweist sich als ein Meister der Reduktion.
Weißt du, du kannst mir die Wahrheit sagen, wird sie wieder sagen, ich ertrage die Wahrheit leichter als diese dummen Lügen. Ich verstehe, du liebst sie mehr als mich. Aber warum kommst du dann zurück, warum bleibst du nicht dort? Und wieder wird er wissen, dass es keinen Sinn hat zu widersprechen, zu erklären.
Buch-Tipp
Andrej Blatnik, "Der Tag, an dem Tito starb", aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof, Folio Verlag, ISBN: 3852562988
Link
Folio Verlag - Andrej Blatnik