Doris Stoisser im Gespräch mit Emine Sevgi Özdamar

Sprache im Körper

"Geh und lebe dein Leben!", sagte die Großmutter zur jungen Emine, als diese aus politischen Gründen die Türkei verließ und - nicht in den Westen, sondern nach Ostberlin ging. Die Bachmann- und Kleist-Preisträgerin schreibt auf Deutsch.

Emine Özdamar und Doris Stoisser

Doris Stoisser: Herrman Beil hat seine Laudatio anlässlich der Überreichung des Kleist-Preises im November 2004 mit einem Zitat von Ihnen überschrieben: "In einer fremden Sprache schreiben ist eine Reise". Und der Satz geht so weiter: "Die Reise ist schön, nicht aber das Ankommen." Wie ist das gemeint?
Emine Sevgi Özdamar: Also ich hatte das Gefühl, als ich anfing Deutsch zu lernen, oder später auch Französisch, ich hätte mich ans Meer geschmissen, und dieses Meer ist zu groß. Als würde ich nie ankommen! Viele Wörter würden mir natürlich versteckt bleiben. In der eigenen Muttersprache macht man diese Reise nicht - man lernt sie selbstverständlich. Aber hier kommt man den Wörtern sehr nah, und dann distanziert man sich leichter. Man macht eine Arbeit um die Wörter.

Auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse hat Therezia Mora den Preis gewonnen, die von ihrer Mutterzunge, Muttersprache her nicht deutsch ist, sondern ungarisch. Sigrid Löffler hat gesagt, es scheint so, als komme die beste deutschsprachige Literatur im Moment von den Rändern. Durch diesen bewussten Blick auf die Sprache?
Man kommt ja für ein Jahr in ein anderes Land. Nach einem Jahr möchte ja jeder zurückkehren. Was ich damals beobachtet hatte, zum Beispiel bei den Griechen oder Italienern oder Türken: Die Männer sammelten sich an den Bahnhöfen, wo sie angekommen waren und von wo sie nach einem Jahr wieder zurückkehren wollten. Und dort sprachen sie laut ihre Sprachen. Sie gingen durch die Straßen rund um den Bahnhof, und ich hatte das Gefühl, dass sie hinter ihren Wörtern her gehen, dass die Wörter sie einfach von einer Straße zur nächsten leiteten. Dass die Wörter in der Luft vor ihnen her gingen. Und da sahen sie natürlich für die anderen Menschen, die diese Sprache nicht verstanden, so aus, als ob sie mit ihren Eseln über eine andere Erde gehen würden. Das hatte mich fasziniert: Hinter den Wörtern her gehen.

Und es passiert auch das Gegenteil. Wenn man herkommt und Deutsch lernt, dann geht man hinter der deutschen Sprache her, hinter den deutschen Wörtern her. Das ist der Sinn des Hier-Lebens. Man versucht auch, die eigene Sprache in diese Fremdsprache reinzubringen, damit man sich einen Ort schafft. Sprache ist ein Ort, ein Zuhause.

Wenn man anfängt hier zu leben, die Straßen zu überqueren, um seine Lieblingsfreunde zu besuchen, oder am Theater zu arbeiten, dann fängt der Körper an, mit der Sprache eine Erfahrung zu machen. Zum Beispiel erstaunt man sich in dieser Fremdsprache. Oder man ist verliebt. Oder man weint in dieser Fremdsprache. Der Körper gewöhnt sich an den Rhythmus. Und wenn man jedes Gefühl in einer Fremdsprache gelebt hat, dann ist es eben ein Zuhause geworden.

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CD-Tipp
"Im Gespräch Vol. 7", ORF-CD, erhältlich im ORF Shop

Veranstaltungs-Tipp
Emine Sevgi Özdamar liest am Dienstag, 19. April 2005 um 19:30 Uhr im Kreisky-Forum.