Aus Altem wird Neues

Hintergründige Einfachheit

Irgendwann wird alles einmal Vergangenheit. Wie die dann zu bewerten sei, ist Teil der Interpretation. Auch von Künstlern. Wie zum Beispiel Balanescus musikalischer Brückenschlag ins Zwischkriegsrumänien oder Knaifels psalmeninspirierte Esoterik.

Man kann nicht so einfach sagen, es war alles schon da. Das war es nämlich immer. Immer schon ein Weiterführen der bestehenden Formen, der Erweiterungen oder deren Ersetzung. Vom Hinterfragen solcher Zeitbilder, auch der musikalischen, davon lebt Kunst. Musiker wie Alexander Knaifel, das Balanescu Quartett, Christoph Cech oder auch Max Nagl haben sich diesen in sehr unterschiedlicher Weise gewidmet.

Der siebte Himmel in Vierteln

Einem seit langem nur mehr gewissermaßen in Anführungszeichen verwendbaren Genre haben sich der Komponist und Saxofonist Max Nagl und der Schriftsteller und Librettist Franzobel verschrieben, der Operette. Das mit den Anführungszeichen sorgt oft dafür, dass, was "Operette" sich nennt und in gewisser Weise auch ist, dann doch mehr von der Farce gekostet hat, als Operette sich je träumen hätte können. Sie hatte dann doch, wenn überhaupt, eher in Richtung Travestie genascht.

Der Präsident von Tübsdrüüh und der terroristische Schläfer in seinem Vorzimmer sind laut Vorabauskunft die Protagonisten dieser Operette, die mit ihrem Titel "Der siebte Himmel in Vierteln" das postfinale Lebensziel aller gottesfürchtigen Provinzler benennt, seien sie Präsident oder Terrorist geworden.

Max Nagl hat sich durch viele Genres bewegt. Dabei pflegte er geräuschhaftes wie blasmusikalisches, chansonhaftes wie frei improvisiertes Spielen und Komponieren und es könnte gut sein, dass sich sein gewitzter Umgang mit den unvermeidlichen (musikalischen) Banalitäten und Kalauern des Lebens im Verbund mit Franzobels verbaler Lust an der Überhöhung ebendieser Feinheiten zu herrlich abgründigen Momenten verdichtet.

Und dann noch ein Hinweis auf die bevorstehenden Bühnenereignisse: Auf der Homepage des Veranstalter Netzzeit findet sich zurzeit gerade folgende Einschaltung: "20 weibliche Statistinnen für Nacktauftritte gesucht".

Orfeo

Am Donnerstag, dem 14. April 2005 hat ein weiteres Musiktheaterprojekt in Wien Premiere: die Oper "Orfeo". Es ist nicht die Monteverdische Originalversion, sondern eine Fassung von Christoph Cech wird uraufgeführt. Weniger die Liebesgeschichte selbst, als der dahinter liegende Konflikt zwischen der angeblich oder vorgeblich apollinischen Ratio einerseits und dem rauschhaft leidenschaftlich Dionysischem andererseits geben der aktuellen Fassung ihren dramaturgisch-musikalischen Bogen.

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Alexander Knaifel

Im Westen hat es diese Musik bei der Rezeption durch Publikum gleichzeitig besonders schwer und besonders leicht. Sie hat es schwer, weil Etiketten wie "esoterisch" nicht nur draufstehen, sondern erstens auch dem ersten Höreindruck entsprechen und vom Komponisten auch noch verbal bestätigt werden.

Und aus demselben Grund hat sie es besonders leicht: Man kann sich auf ätherisch minimalistisch schwebenden Knabenchorklängen, die von glasharmonikagleichen Streicherakkorden begleitet werden, betören lassen; erst recht von der weiblichen Solostimme in diesem, dem neuen Alexander Knaifel ECM-Album den Titel gebenden Opus "Amicta Sole", gesungen von der charismatischen Stimme Tatiana Melentievas.

Inhaltlich, um nicht zu sagen spirituell, und textlich beruht diese Musik noch auf Psalmen, zumeist aus dem Alten Testament. Alles zusammen genommen scheint die Selbstbeschreibung durch den Komponisten Alexander Knaifel, eine Musik zwischen "Esoterik, Psychologie und Philosophie" machen zu wollen, sozusagen vorsichtig formuliert.

Interessant wird es an jenem Punkt, an dem der Komponist betont, diese seine Instrumentalmusik sei eine silbengenaue Übertragung aus dem Russischen ins Instrumentale, auch und besonders im anderen Stück auf dieser CD, einem tatsächlich grenzgängerisch faszinierenden Solo-Cellostück, eingespielt von Mstislav Rostropovich.

Wie kommt ein Komponist dazu, mit einem Star dieser Relevanz eine Platte mit einem fast halbstündigen, völlig unspektakulären, um nicht zu sagen exertitienhaft reduzierten Stück einzuspielen?

Alexander Knaifel gehört in etwa der Generation von Komponisten an, die mit Gubaidulina, Denisov und Schnittke für eine Weile einen Gravitationspunkt in der Sowietunion, in Moskau bildete. Darüber hinaus lebte Kancheli in Tiflis, Pärt in Tallin und Silvestrov in Kiev. Die meisten, jedenfalls Alexander Knaifel, verfolgten in ihrer Jugend in den 60er Jahren eine Art postexpressionistische Modernität, irgendwo zwischen dem Einfluss von Schostakowitsch und Schönberg.

Dann aber begann sich diese Generation von den (Groß)eltern zu lösen und für die meisten bedeutete das ein Eingehen auf zwei Parameter: Spirituelles in welcher Ausformung auch immer sowie Einfachheit oder Reduktion in der Wahl der musikalischen Mittel, in welcher Form auch immer.

Hier spielt nun Mstislav Rostropowich eine einstimmige, manchmal zittrige, manchmal inbrünstige Melodie. Die so einsamen wie faszinierenden Cellonoten und Cellotöne bekommen eine Verankerung in Knaifels und des Hörers (spiritueller) Wirklichkeit, ohne die sie nicht annähernd so gut wirken würde. Und wirksam will diese Musik ja sein.

Balanescu Quartet

Auf gänzlich andere Einfachheit konzentriert sich der Geiger Alexander Balanescu, bekannt durch Kooperationen mit Michael Nyman und die auf Streichquartett übertragenen Kraftwerk-Lieder. Auf der neuen Platte überträgt Balanescu wiederum eines auf was anderes: Die Musik der legendären rumänischen Sängerin Maria Tanase in seine eigene Cross-over-Welt. Streichquartettklänge dominieren zwar diese Platte mit dem Titel "Maria T", aber mit einiger Perkussion werden aus keuschen Klängen schnell nachtklubtaugliche.

Genau darin liegt aber, über das unverbindlich Nette von arrangierter, rumänischer Zwischkriegsschlager-Romantik hinaus, ein interessanter Ansatz: Maria Tanase sang rumänische Folklore, nicht Volksmusik. Und selbst diese "Folklore" war schon damals eine meist eigens neu komponierte Musik, die mit folkloristischen Anklängen Eindruck machen und Identität stiften wollte.

Dieses Hybrid aus Zwischenkriegs- und auch noch Nachkriegskulturmechanismen zwischen Konzertsälen und Kinoleinwänden, Nachtclubs und neuer rumänischer Urbanität brauchte insbesondere eine Erinnerung an "Rumänisches", ohne aber Entertainment-Industrie und die Stadt verlassen zu wollen.

Alexander Balanescu spinnt auf der Ebene des internationalen Medienlebens genau diese Geschichte seit Jahren erfolgreich fort: "Luminitza" hieß die letzte Platte, die in diesem Spannungsfeld platziert war, mit "Maria T" setzt das Balanescu Quartett einen dezidierten Schritt Richtung jener Melancholie und Frivolität, der das "Rumänische" selbst schon nur mehr Erinnerung ist.

CD-Tipps
Alexander Knaifel, "Amicta Sole", ECM New Series 1731

Balanescu Quartet, "Maria T", Mute Records 242

Hör-Tipp
"Zeit-Ton", Mittwoch, 13. April 2005, 23:05 Uhr

Veranstaltungs-Tipps
Max Nagl, "Der siebte Himmel in Vierteln", Sonntag, 17. April 2005, Museumsquartier

Christoph Cech, "Orfeo", Donnerstag, 14. April 2005, Remise

Links
Museumsquartier - Programm
Max Nagl
Neue Oper Wien
Christoph Cech