Leidenschaftsloser Beamte oder Mann der Tat?
Wer war Adolf Eichmann?
Wie wurde Adolf Eichmann einer der maßgeblichen Organisatoren des Holocaust? Über keinen Beteiligten am Völkermord an den Juden ist mehr geschrieben worden - nach einer wissenschaftlich fundierten Biografie über ihn suchte man bisher jedoch vergeblich.
8. April 2017, 21:58
Das Bild wurde zu einer Ikone des 20. Jahrhunderts: Ein blasser, schmaler Mann, Ende 50, schütteres Haar, dicke Hornbrille, in einem Glaskobel. Flankiert von zwei Justizwachebeamten, blickt er mit hochgezogenen Augenbrauen heraus, ertappt und doch rechthaberisch. "Jawohl", antwortet er auf Fragen des Richters und stapelt akkurat seine Unterlagen.
So sieht ein Schreibtischtäter aus, ein Befehlsempfänger und Mitläufer, der Prototyp eines etwas lächerlichen Beamten in einem riesigen Apparat. Es sind diese Bilder von Adolf Eichmann, die unser Bild von ihm geprägt haben. Der Prozess gegen ihn, 1961/62 in Jerusalem, wurde zur Gänze gefilmt - wie kein Prozess wegen NS-Verbrechen vorher und nachher.
Ein leidenschaftsloser Beamter?
In manchen der Aufnahmen ist auch Hannah Arendt schemenhaft zu erkennen, gespiegelt im Glas des Kobels. Ihr Buch "Eichmann in Jerusalem" prägte über Jahrzehnte hinweg die Antwort auf die Frage: Wie wurde jemand zum Täter des Massenmords an den Juden?
Die Politikwissenschafterin sah Adolf Eichmann als leidenschaftslosen Beamten an - genauso, wie er sich im Prozess darstellte, als kleines Rädchen in einem riesigen Vernichtungsgetriebe, jederzeit ersetzbar. Jemand, der ohne nachzudenken, Befehle ausgeführt habe, ein ganz normaler Beamte in einem totalitären Regime. Eichmann verkörperte für Hannah Arendt die sprichwörtlich gewordene "Banalität des Bösen". Sie bezeichnete ihn gar als "Hanswurst".
Eine wissenschaftliche Lücke
Wer Hannah Arendts Thesen in Zweifel ziehen wollte, stieß bisher auf Schwierigkeiten. Gerade über jenen Mann, der für den Prototyp des willenlosen Befehlsempfängers gehalten wurde, gab es keine Biografie, die auf wissenschaftlicher Forschung beruhte.
Dem britischen Historiker David Cesarani fiel diese Lücke auf, als er die BBC für einen Dokumentarfilm über Eichman beraten sollte. Er begann, die historischen Quellen und Selbstzeugnisse Eichmanns neu zu lesen.
Ein falsches Eichmann-Bild
"Ich glaube, dass Hannah Arendt Eichmann völlig falsch verstanden hat", sagt Cesarani. Arendts Ansichten seien gerade in Deutschland und Österreich nicht zufällig auf positive Resonanz gestoßen. "Bei Arendt wird man keine Hinweise darauf finden, dass Eichmann ein Mann der Tat war, ein Mann mit Idealen. Er war ein Überzeugungstäter."
NS-Deutschland galt bis in die 80er und 90er Jahre als ein äußerst zentralisierter, monolithischer und hierarchischer Staat, in dem der Judenmord bürokratisch vorangetrieben und gewissermaßen von Todesfabriken erledigt worden war.
Die Forschung ist mittlerweile zu anderen Erkenntnissen gekommen. "Der Holocaust war ein widersprüchlicher, mitunter stockender Prozess, der von verschiedenen Seiten angetrieben wurde", erklärt David Cesarani. Eichmann entwickelte sich darin vom "Experten der Auswanderung" zum "Manager des Massenmords".
Von der Kindheit bis zum Prozess
David Cesarani geht in seiner Studie "Adolf Eichmann. Bürokrat und Massenmörder" strikt chronologisch vor. Er spannt den Bogen über die Kindheit und Jugend Eichmanns in Linz, seine Karriere im NS-Staat, seine Flucht nach Argentinien, die Festnahme durch den israelischen Geheimdienst, den Prozess in Jerusalem und dessen Nachwirkungen auf unser Verständnis des Holocaust.
Download-Tipp
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Buch-Tipps
David Cesarani, "Adolf Eichmann. Bürokrat und Massenmörder", Propyläen Verlag, ISBN 3549071868
Michael Wildt, "Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes", Hamburger Edition, ISBN 3930908875
Michael Wildt (Hg.), "Nachrichtendienst, politische Elite, Mordeinheit", Hamburger Edition, ISBN 3930908840
Götz Aly, Christian Gerlach, "Das letzte Kapitel. Der Mord an den ungarischen Juden", Fischer Taschenbuchverlag, ISBN 3596157722