Porträt des englischen Baukünstlers Will Alsop

Der Pinsel des Architekten

Die Briten nennen ihn "Mr. Blobby", weil seine Architektur mit ihren gerundeten skulpturalen Formen zu solchen Assoziationen reizt. Sicher ist jedenfalls, dass er einer der Unkonventionellsten unter den Top-Architekten der Gegenwart ist.

Ein bunter Hund! Normalerweise würde man ja nicht zu dieser verblassten Tier-Metapher greifen, aber wenn man sich dazu Will Alsop vorstellt, muss man lachen, weil in seinem Fall der bunte Hund so genau den Sachverhalt trifft. Ein Hund ist ein sehr soziales Tier, das alles Neue beschnüffelt. Ein Hund hält sich nicht an vom Menschen vorgegebene Wegsysteme, sondern trabt immer irgendwie quer, auf nicht vorgesehenen Routen, einem unvorhersagbaren Ziel zu. Das alles beschreibt exakt Will Alsops Geisteshaltung. Und bunt passt insofern, als er mehr als fast alle anderen Architekten beim Entwerfen in leuchtenden Farben denkt.

Will Alsop legt es nicht auf Markenzeichen an. Sich auf einen speziellen Stil zu verlassen, einen Stil zu borgen oder zu stehlen, betrachtet er als eine Art von Faulheit. Aber: Seine auffälligsten Bauten machen es dem Publikum leicht, ihm ein Stil-Etikett zu verpassen. Schiffsbäuche, Eier, Kieselsteine, Zapfen, Zeppeline, Kugeln: Solche Formteile und Querschnitte kommen bei Will Alsop nicht gerade selten vor.

Architektonische Skulpturen

Ein Gebäude mit Funny Objects geht demnächst am Londoner East End in Betrieb: ein neuer Standort des Queen-Mary-Colleges, nicht weit von der East-London-Moschee und der "Whitechapel Art Gallery". Diese früher billige Gegend moslemischer und anderer Einwanderer-Communities findet man zunehmend von schicken, preistreibenden Galerie- und Szenevierteln durchwachsen. Das Büro Alsop hat dort in einen engen Raster niedriger Häuserblocks einen Forschungs- und Lehrkomplex für Medizin und Zahnheilkunde hineingebaut. Zwei liegende Quader, dazwischen eine schmale Piazza.

Von weitem könnte man das Laborgebäude für einen ganz stillen, zurückhaltenden Glascontainer halten, weil bei Tag die Fassade den Himmel spiegelt und die Sicht nach innen erschwert. Aus der Nähe schimmern aber aparte Farbkleckse durch die Glashaut. In dem luftigen Quader schweben Raumkörper. Ein orange Gebilde wie ein Seifenblasenkonglomerat. Ein metallisch-helltürkises Ellipsoid, fast ein Football. Und eine rundliche schwarze Form, aus der spitze Dornen wachsen - wie eines dieser Piktogramme für Aufprall oder Knall in einem Cartoon, nur eben dreidimensional. Alle diese architektonischen Skulpturen verbergen in ihrem Inneren ganz normale Seminar-, Vortrags- und Aufenthaltsräume.

Alsop ist wahrscheinlich der einzige prominente Architekt der Gegenwart, in dessen Entwurfsprozess Malerei eine Hauptrolle spielt. Durch bunte, teils sehr gestische, oft großformatige Malereien arbeitet sich Alsop an die spätere Form eines Bauwerks heran. Sogar bei öffentlichen Präsentationen seiner Projekte verwendet er nicht nur Modelle, sondern auch Gemälde zur Visualisierung seiner Vorstellungen. Ein ausgeprägter Künstler-Architekt eben.

Der Bauboom macht's möglich
Es heißt, dass Bauherren Will Alsops künstlerische Ansprüche an Architektur des Öfteren als unnötigen Luxus verfluchen. Und auch, dass diese Ansprüche die Finanzkraft seines großen Londoner Büros bisweilen überstrapazieren. Aber im Boomland England und der jetzt so wirtschaftsstarken Metropolis London können Architekten derzeit eher als in Kontinentaleuropa darauf zählen, dass ihre siegreichen Wettbewerbsprojekte auch realisiert werden. Und zwar ohne allzu arge kostenbedingte Abstriche, wie sie so oft in der Praxis des Bauens den ursprünglichen Entwurf zerstören.

Lob für österreichische Studenten

Seine Unvoreingenommenheit schätzen auch viele der Studenten Alsops an der Technischen Universität Wien, wo er als unter Kollegen nicht unumstrittener Professor am Institut für Hochbau und Entwerfen lehrt. Will Alsop lobt den Enthusiasmus vieler seiner Studenten und die Ballung von Talent und Innovationsgeist gerade bei den jungen Architektenteams in Österreich.

Dass die Jungen hierzulande kaum je an größere Aufträge herankommen, weiß er aus jahrelanger Beobachtung. Österreich sei weit über das Normale hinaus ein Land der Platzhirsche, was Architektur anbelangt. Um Missverständnissen vorzubeugen: Aus Alsop spricht hier nicht persönliche Eifersucht, denn in Österreich hat er sich ganz bewusst noch nicht um Aufträge bemüht.