CD mit Serie von Kompositionsminiaturen

Alte Musik - neu interpretiert

Es ist ein spezielles Projekt: Neue Musik, veröffentlicht als Kompilation mit dem lateinischen Titel "in nomine". Zu hören ist Musik von Byrd, Purcell, Picforth und Taverner - aber gemischt mit Miniaturen von u. a. Rihm, Sciarrino, Huber, Pauset und Harrison.

Neue Musik, veröffentlicht als Kompilation mit einem lateinischen Titel - "in nomine": Das lässt zu Recht ein spezielles Projekt vermuten. Musik von William Byrd und Thomas Tallis, Henry Purcell, Picforth und - immer wieder - von John Taverner ist auf dieser CD-Veröffentlichung zu hören; aber eben auch von Wolfgang Rihm, Salvatore Sciarrino, Klaus Huber, von Gérard Pesson und Brice Pauset, Georg Friedrich Haas und Wolfram Schurig, Isabel Mundry und Bryn Harrison.

Das Freiburger "ensemble recherche" initiierte - ursprünglich als eine Art Geschenk für den Leiter der Wittener Kammermusiktage Harry Vogt - eine Serie von Kompositionsminiaturen: All diese kleinen Stücke sollten als Ausgangspunkt eine kurze Passage von John Taverner haben, wobei der musikhistorische Hintergrund darin liegt, dass gerade die "in nomine" Kompositionen im 16., 17. und auch noch 18. Jahrhundert eine Art Spiel unter den Komponisten waren. Man komponierte ein neues "in nomine" beruhend auf dem Material eines vorgegebenen "in nomine". Auf diese Weise konnte man einem verehrten Meister die Reverenz erweisen, eine Art Hommage also, man konnte aber auch in mehr oder weniger provokanten Wettstreit miteinander treten.

Huber, Sciarrino, Rihm & jüngere Komponisten

Das "ensemble recherche" befragte also Komponisten wie Klaus Huber, Salvatore Sciarrino, Wolfgang Rihm, aber auch und vor allem die jüngere Generation. Nicht immer wählten die Komponisten genau das John Taverner Original und nicht immer ist dieses Original deutlich oder überhaupt zu hören.

Die Reaktionen der Komponisten sind sehr verschieden voneinander - es gibt bloß gedankliche Verbindungen, konzeptionelle Umdeutungen, raffinierte Intrumentierungen, Themen variierendes Weiterschreiben.

Das Neue im Alten und das Alte im Neuen

Georg Friedrich Haas nennt sein Stück schlicht "in nomine", auch, weil er tatsächlich nahe am Original bleibt, dieses aber in die für Georg Friedrich Haas charakteristische Welt einer mikrotonal schillernden Psychodelik entführt. Der Halbminüter von Rainer Peters hingegen, fast wie eine Parodie auf das Gesamtunterfangen angelegt, serviert neue Musik mit einer einzigen historisierenden, kadenzartigen Schlusswendung.

Der Komponist Brice Pauset ist bekannt für Stücke, denen dieses Thema des ganz bewussten Reagierens auf und Fortspinnens von historischen Positionen eingeschrieben ist. Er war also einer der prädestinierten Kandidaten, um an diesem "in nomine" Projekt mitzuwirken und hat sich dann auch rege beteiligt, allerdings indem er gleich auf das 17. Jahrhundert Bezug nahm, auf "in nomine"-Kompositionen von Henry Purcell. Zwei Bearbeitungen und eine Komposition von Brice Pauset sind auf der Doppel-CD zu finden und er hat für seine knapp am Original bleibende Arbeit auch eine eigene Genrebezeichnung erfunden: Henry Purcell, "in nomine", an objective interpretation.

Englische Tradition

"in nomine" Komponieren, das war jene vor allem in England gepflegte Tradition des 16. und 17. Jahrhunderts, innerhalb derer sich die Komponisten gegenseitig genauso gut die Reverenz erweisen wie auch den Fehdehandschuh zuwerfen konnten.

Einige der heutigen Komponisten bevorzugten den Hommage-Charakter, aber mit beispielsweise der Komposition von Wolfram Schurig blitzt auch das Selbstbewusstsein eines gänzlich anderen und wahrlich heutigen Komponierens auf, ähnlich wie in den Beiträgen von Isabel Mundry - eineinhalb Minuten - und - eine kurze Dreiviertelminute - Wolfgang Rihm.

Stimmung des Konzepts oder Konzept als Stimmung

Zwei Komponisten hielten sich nicht ans Format der Miniatur: Der in Berlin lebende Österreicher Gösta Neuwirth, sowie der Senior unter den beteiligten Komponisten, Klaus Huber. Ersterer, Gösta Neuwirth, ist ein wahrer Experte für alte Musik, und zwar eher für die hochkomplexen Partituren eines Guillaume Dufay oder Josquin de Prez. Und das hört man auch: Gösta Neuwirths Bezugnahme auf alte Traditionen ist eine, in der sich die Stimmung erst im Konzeptionellen wieder findet.

Ebenfalls ein Komponist, der auch ohne ein so spezielles Projekt gerne explizit auf Vergangenes Bezug nahm und nimmt, ist der 1924 geborene Klaus Huber. Er steuerte eine der längsten Kompositionen bei, wie in Ultra-Zeitlupe die Klangräume rund um die historischen "in nomine" Töne auffächernd. Und Salvatore Sciarrino, auch er einer der versierten Kenner und Liebhaber Alter Musik und oftmaliger Bearbeiter von Musik von Gesualdo bis Scarlatti, hat eine besonders merkwürdige Miniatur beigesteuert. Laut in manchen Momenten, fast unhörbar in anderen, derb im einen Augenblick, wie entschwebend, zittrig in einer ultrahohen Geigenpassage. Eine Hommage, die zugleich eine Hinterfragung ist, zugleich Balanceakt und Gewaltakt.

CD-Tipp
"In Nomine-The Witten In Nomine Broken Consort Book", ensemble recherche, kairos 0012442KAI

Link
ensemble recherche