Doppelagent Kim Philby

Der Spion, der in die Kälte ging

Wohl kaum einer der Bewohner der Latschkagasse im 9. Wiener Gemeindebezirk ahnt heute, dass sich hier vom Herbst 1933 bis Mai 1934 ein junger Mann aufhielt, der später einer der fähigsten Doppelagenten des 20. Jahrhunderts werden sollte: Kim Philby.

Im Hause Latschkagasse Nr. 9 wohnte Anfang der 30er Jahre Lizzy Kohlmann. Sie war überzeugte Kommunistin, arbeitete im Untergrund gegen die Dollfuß-Regierung, beherbergte in ihrer Wohnung verfolgte Freunde und stellte ihre Räumlichkeiten auch für Partei-Sitzungen der KPÖ zur Verfügung. Und in diesem Hause hatte sich gleich nach seiner Ankunft im Herbst 1933 ein 22-jähriger britischer Student aus Cambridge einquartiert. Sie werden im Februar 1934 heiraten und zwei Monate später über Paris nach London gehen.

Kim Philby war nicht der einzige Student aus England, der seine Semesterferien auf dem Kontinent verbrachte, das taten viele Studierende der britischen Eliteuniversitäten. Doch Kim Philby kam aus politischen Gründen. Früher war er Labour-Anhänger gewesen, aber nachdem die regierende Labour-Party 1931 eine Koalition mit den Konservativen und Liberalen einging und die rund 3 Millionen Arbeitslosen ihrem Elend überließ, wandte er sich wie so viele seiner Kommilitonen enttäuscht von ihr ab. Kim Philby wurde Kommunist und blieb es ein Leben lang.

Retter von Schutzbündlern

Im Juni 1933 hatte Philby sein Abschlussexamen in Wirtschaftswissenschaften im Cambridge abgelegt, im Herbst war er also bereits in Wien, um als Kurier die Verbindung zwischen den verfolgten Kommunisten und Sympathisanten in Ungarn, Prag und Paris aufrecht zu erhalten. Doch dann kam es zu den dramatischen Ereignissen des Februar 1934: der bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Sozialdemokraten, Schutzbündlern und Regierung - und der Niederschlagung des Aufstands durch Polizei, Militär und Heimwehr.

Philby bewies viel Mut, als er einer Gruppe bedrängter kommunistischer Arbeiter half, sich in einem Abwasserkanal zu verstecken. Die Männer brauchten unauffällige Kleidung, da sie an ihren zerlumpten Uniformen leicht als Schutzbündler zu erkennen waren. Philby suchte den Wiener Korrespondenten des Daily Telegraph in seiner Wohnung auf, sah in den Kleiderschrank und bat um dessen sieben Anzüge für seine bedrohten Freunde im Kanal. Der Korrespondent war einverstanden und Philby konnte die Männer dann in ein sicheres Versteck führen und schließlich über die tschechoslowakische Grenze schleusen.

Kim Philby half auch mit, andere polizeilich gesuchte Sozialisten und Kommunisten aus dem Land zu schmuggeln. Sein britischer Pass erleichterte ihm dabei die Organisation der Fluchtwege.

Der Beginn einer beeindruckenden Geheimdienstkarriere

Kim Philbys Aktivitäten in Wien hatten den sowjetischen Geheimdienst auf den jungen Cambridge-Absolventen aus gutem Hause aufmerksam gemacht, aber erst nach seiner Rückkehr nach London wird er als Agent rekrutiert - das ist der Beginn einer der beeindruckendsten Geheimdienstkarrieren des 20. Jahrhunderts.

Fast 30 Jahre bleibt Kim Philby als Sowjetagent unentdeckt. Er bringt es im englischen Geheimdienst bis zum Chef der Gegenspionage und später zum Verbindungsmann zwischen dem englischen und amerikanischen Geheimdienst in Washington. Erst 1963, im Alter von 51 Jahren, wird er in Beirut enttarnt, kann sich aber noch rechtzeitig nach Moskau absetzen, wo er 1988 stirbt und mit militärischen Ehren beigesetzt wird.

Hör-Tipp
Hörbilder, Samstag, 15. April 2006, 9:05 Uhr

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