Der Philosoph und die Terroristin
Der Eisvogel
Uwe Tellkamp hat mit einem Ausschnitt seines jetzt als Roman erschienenen Textes im Vorjahr den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. Die Geschichte eines Philosophen, der in die Fänge einer Terror-Gruppe gerät, erzählt er in Form lose gereihter Mitschriften.
8. April 2017, 21:58
Das Buch heißt "Der Eisvogel" und sein Inhalt ist schnell erzählt: Es handelt sich um die Geschichte des arbeitslosen Philosophen Wiggo Ritter. Dieser gerät in die Fänge einer konservativen Terror-Gruppe, die mitten in der Bundesrepublik Deutschland einen neuen Ordensstaat zu etablieren sucht. Einer der Altvorderen der Organisation, wenn nicht gar ihr eigentlicher Chef, heißt Mauritz Kaltmeister und verfügt mit seiner Schwester Manuela über den geeigneten Lockvogel für den anstehenden Fall.
Der Philosoph, den es zu angeln gilt, hat es auch im Privaten bislang nicht allzu weit gebracht. Nur auf Intervention seines Vaters, eines reichen Bankiers, war ihm einmal ein kurzes Gspusi mit dessen Privatsekretärin (?) vergönnt, ansonsten herrscht in seinem Sexualleben Sendepause. Kurzum: Der attraktiven Terroristenbraut ist Wiggo Ritter wehrlos ausgeliefert. Hals über Kopf verliebt er sich in die Frau und gerät damit gegen seinen Willen immer tiefer in die terroristischen Verstrickungen hinein.
Gleich die beiden ersten Seiten des Romans nehmen den Schluss der Geschichte vorweg: Zwei Schüsse krachen durch die Luft. Mit ihnen streckt Wiggo in einem Anfall von Verzweiflung Mauritz nieder, und zwar tut er das genau mit jener Pistole, die dieser ihm zur Durchsetzung seiner abgehobenen Ziele gegeben hat und die knapp vorher noch einen zusätzlichen Kick in seine Sexspielchen mit Manuela brachte.
Kein Management der Dramaturgie
Uwe Tellkamps Buch berichtet, wie es zu alledem kam, und ist dabei selbst wie ein nicht enden wollendes Gespräch gebaut. Auf eine übermäßige Strapazierung narrativer Elemente, auf ein Management der Dramaturgie etwa oder auch nur auf eine halbwegs erkennbare psychologische Fadenführung verzichtet der Autor bewusst. Stattdessen breitet er seinen Stoff in Form lose gereihter Mitschriften auf, die in ihrer Gesamtheit an die aufgeschwemmte Fülle von Vernehmungsprotokollen erinnern.
Als Leser vermeint man angesichts dieses Stils sehr rasch einmal, es wäre einem, ohne dass man es beantragt hätte, Akteneinsicht in einen doch eher weit entfernten Strafprozess gewährt worden. Die Leute, die es mit solchen Textsammlungen berufsmäßig zu tun haben - also Richter, Staatsanwälte und Verteidiger - sind für ihre Jobs ja nicht unbedingt zu beneiden. Relevant für handfeste Bewertungen und sinnvolle Einschätzungen ist maximal ein jeder zwanzigste Satz, in den restlichen neunzehn steckt vor allem eines: sehr, sehr viel heiße Luft.
Wo ist der Eisvogel?
Uwe Tellkamp hat mit einem gut gewählten Ausschnitt seines jetzt als Roman erschienenen Textes im Vorjahr den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen; bis dahin war er eher als Lyriker bekannt. Über die narrativen Luftmaschen seines "Eisvogels" helfen indes auch die lyrischen Stimmungsbilder nicht hinweg. Dass der Himmel beispielsweise von "hellgrünen Nussknackerzangen gefasst" und von den "Rändern her strahlig zerbrochen" war, oder dass der "Herbst" sich wie "feiner Sandstrahl in gewendete Uhren" legt, bringt die Suche nach Motiven der Handlung nicht voran.
Am Ende des Romans angekommen, glaubt man dem "Eisvogel" fast nichts mehr und zweifelt dann auch mit einigem Recht seinen Titel an. Angespielt wird mit ihm auf eine Geschichte, die Ovid in seinen Metamorphosen erzählt: Zeus hatte dereinst Alkyoné in einen solchen Vogel verwandelt. Wie und was das Ganze mit Tellkamps Buch zu tun hat, bleibt fraglich, außer der Tatsache vielleicht, dass an einer entlegenen Stelle des Textes dann wirklich ein ausgestopfter Eisvogel in einer Vitrine hockt.
Buch-Tipp
Uwe Tellkamp, "Der Eisvogel", Rowohlt Verlag, ISBN 3871345229