Zu Viktor Frankls 100. Geburtstag

Die Logotherapie und Existenzanalyse Viktor Frankls

Frankls "Logotherapie und Existenzanalyse" wird, nach der Psychoanalyse Sigmund Freuds und der Individualpsychologie Alfred Adlers, die "Dritte Wiener Richtung" genannt. Am 26. März 2005 wäre Viktor Emil Frankl 100 Jahre alt geworden.

Viktor Frankl war neben anderen Tätigkeiten auch Leiter der Neurologischen Station des Wiener Rothschild-Spitals. 1942 wurden er, seine junge Ehefrau und seine Eltern in verschiedene Konzentrationslager deportiert, unter anderem nach Theresienstadt, Auschwitz und Dachau. Nur Frankl selbst überlebte die Lager. Von 1946 bis 1970 war er Vorstand der Wiener Neurologischen Poliklinik, und noch im Alter von 92 Jahren hielt er 1996 eine Vorlesung an der Universität in Wien.

Neben Viktor Frankls 32 Büchern, die in 31 Sprachen übersetzt wurden, oder seinen insgesamt 29 Ehrendoktoraten, tragen vor allem in Österreich auch Frankls bergsteigerische Anstrengungen zu seinem persönlichen Charisma bei: Auf Rax und Peilstein sind drei Klettersteige schwierigeren Grades nach ihm benannt.

Krank machend ist das Fehlen von persönlichen Perspektiven

Von den drei "Wiener Schulen" Psychoanalyse, Individualpsychologie und Logotherapie ist letztere die auf ersten Blick am wenigsten dogmatische. Viktor Frankl, den seine eigenen Erlebnisse in den Konzentrationslagern auch wissenschaftlich prägten, ortete nicht außergewöhnliche Traumata oder Belastungen als krank machend, sondern das Fehlen von persönlichen Perspektiven und Aufgaben. "Logotherapie" bedeutet in diesem Zusammenhang "Sinntherapie", und die "Existenzanalyse" bezeichnet die Suche nach den individuellen Sinn-Aspekten jedes einzelnen Lebens. Psychotherapie muss deshalb laut Viktor Frankl auch spirituelle Hilfestellung geben, wie der Titel eines seiner Hauptwerke, "Ärztliche Seelsorge", beweist.

Viktor Frankls "Logotherapie und Existenzanalyse" hat heute bereits eine Anzahl neuer logotherapeutischer Schulen hervorgebracht. Hedwig Raskob, die sich neben ihrer Arbeit als Logotherapeutin besonders in der Friedensarbeit und Konfliktforschung engagiert, wendet sich mit ihrem äußerst komplexen, jedoch verständlich geschriebenen Werk an Therapeuten, Lehrer, Ärzte und Erzieher, aber auch an interessierte Laien. Die Autorin, die sich seit mehr als 40 Jahren theoretisch und praktisch mit Viktor Frankl befasst, kritisiert darin einzelne Aspekte der Frankl'schen Lehre vor dem Hintergrund großer Anerkennung sowohl der Person Viktor Frankls, als auch des Gedankengebäudes der Logotherapie im ursprünglichen Frankl'schen Sinn.

Mangel an Spiritualität

Heutzutage bezeichnen sich viele Menschen selbst als agnostisch oder als in religiöser Hinsicht skeptisch, empfinden aber einen Mangel an Spiritualität in ihrem Alltag. Hedwig Raskob legt als Therapeutin besonderen Wert auf die Brauchbarkeit theologischer Konzepte im Lebensvollzug ihrer Patientinnen und Patienten. Neben der Erforschung der eigenen Lebensaufgabe im Sinn der Frankl'schen Existenzanalyse, oder der von Hedwig Raskob unter anderem empfohlenen Lektüre von Mystikern wie Nikolaus Cusanus oder Meister Eckhart, gibt es so viele Wege zum Sinn, wie es Menschen gibt.

Viktor Frankl selbst sah im Konzentrationslager den Lebenssinn in der Liebe zu seiner Ehefrau, für die er das Lager überleben wollte. Heutige Menschen sehen den Sinn beispielsweise in der Friedensarbeit, in der Erweiterung der eigenen körperlichen Leistungsgrenzen beim Sport, im Kampf für die Lebensqualität von Todkranken, im Familienleben oder auch im Naturerlebnis.

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Buch-Tipp
Hedwig Raskob, "Die Logotherapie und Existenzanalyse Viktor Frankls. Systematisch und kritisch", Springer Verlag, ISBN 3211211926