Kindheit im Zweiten Weltkrieg
Geschichte eines Lebens
Aharon Appelfeld erzählt eine beklemmende und herzzerreißende Geschichte: Die Geschichte seiner Kindheit während des Zweiten Weltkriegs handelt von Flucht und Einsamkeit; es ist die Geschichte eines Getriebenen, eine Geschichte, die er bis heute mit sich trägt.
8. April 2017, 21:58
Sechs ganze Jahre dauerte der Zweite Weltkrieg. Manchmal erscheint er mir wie eine einzige kurze Nacht. Als ich aus ihr erwachte, war ich ein anderer Mensch. Mitunter ist es, als hätte nicht ich diesen Krieg erlebt, sondern jemand anders, jemand, der mir sehr nahe steht, und der wird mir einmal erzählen, was und wie etwas genau passiert ist, denn ich erinnere mich nicht daran
Eine Kindheit im Krieg, ein jüdischer Bub, der jäh aus einem glücklichen Leben herausgerissen wird und sich mit den ganzen Schrecknissen des Zweiten Weltkrieges konfrontiert sieht. Aharon Appelfeld ist sieben Jahre alt, als der Krieg ausbricht, und bis dahin hat er als Sohn assimilierter Juden in Czernowitz ein behütetes Leben geführt. In seinem Buch "Geschichte eines Lebens" hat er seine Jugenderinnerungen aufgeschrieben - Erinnerungen an eine grausame und unmenschliche Zeit, die ihn mit voller Härte getroffen hat. Umso erstaunlicher ist es, dass Appelfeld trotzdem nicht verbittert ist, sondern sich das unbeschwerte Gefühl seiner frühen Jahre erhalten konnte:
"Wenn man diese Kindheit, diese glückliche Kindheit nicht erhalten kann, wird man ein bitterer Mann", meint Aharon Appelfeld. "Und ohne diese Kindheit kann man auch nicht leben."
Langer Leidensweg
Diese Kindheit findet ein jähes Ende, als Deutsche und Rumänen seine Mutter ermorden. Der Siebenjährige hört nur ihren Schrei, aber dieser Schrei markiert den Beginn seines langen Leidensweges, zunächst im Ghetto, dann auf dem Todesmarsch durch die Ukraine. Im Lager wird der Bub von seinem Vater getrennt und kann in die Wälder fliehen, er versteckt sich und irrt umher, findet manchmal Unterschlupf in Bauernhöfen und flieht auch von dort immer wieder, wenn man seine jüdische Identität zu erkennen droht.
Nach Kriegsende ist Appelfelds Leidensweg noch lang nicht zu Ende. In verschiedenen Durchgangslagern trifft er Gauner und Diebe, Gaukler und Schmuggler, ehe er schließlich mit einem Schiff nach Palästina kommt. Nicht zuletzt hat Appelfeld in dieser Zeit auch seine deutsche Muttersprache verloren, muss sich nun das Hebräische mühsam erschließen.
Noch heute geht ihm das Schreiben nicht leicht von der Hand, zumal er mit jedem Wort auch etwas von sich selbst hergibt. Der Leser muss spüren, dass der Mensch, der diesen Satz geschrieben hat, etwas von sich selbst gegeben hat, sagt Appelfeld. "Und das ist nicht einfach."
Auch schöne Momente
Trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb - fühlt sich Appelfeld noch lang nicht ausgebrannt. In seiner Literatur, seinem Schreiben, hat Aharon Appelfeld seine neue Heimat gefunden. Er schöpft aus seinen Erinnerungen - den bitteren, den traurigen, den wehmütigen, aber auch aus den schönen Momenten, in denen er auf Großherzigkeit und Edelmut gestoßen ist, auf Hilfsbereitschaft inmitten der Kriegshölle.
Literatur sei wie Musik, sagt Appelfeld, und tatsächlich steckt hinter seinen Worten eine Melodie - eine Melodie, die die ganze Aufmerksamkeit des Lesers erfordert und die eine schnelle, hektische Lektüre beinahe unmöglich macht.
Ohne Selbstmitleid
"Geschichte eines Lebens" hat diese Wirkung, führt den Leser durch die Gräuel des Krieges und der Nachkriegszeit, lässt ihn teilhaben an Hunger und Kälte, Angst und Einsamkeit. Aharon Appelfeld hat mit seinem Buch ein Dokument geschaffen, das ohne Klagen und ohne Selbstmitleid auskommt und gerade deshalb zu Herzen geht.
Er sei kein Chronist, sagt der Autor selbst, er sei nichts weiter als ein Schriftsteller. Ein Schriftsteller, der mit seiner Arbeit das eigentliche Wesen der Literatur ausschöpft und es dem Leser zum Geschenk macht.
Buch-Tipp
Aharon Appelfeld, "Geschichte eines Lebens", übersetzt von Anne Birkenhauer, Rowohlt Verlag, ISBN 3871345083