Die acht Thesen des Theologen Peter Eicher

Die Bergpredigt - radikal neu gelesen

Ausgehend von einer Neuübersetzung des Urtextes stellt der renommierte, in Paderborn lehrende katholische Theologe Peter Eicher in seiner provokanten Relecture des zentralen Vermächtnisses Jesu acht neue Thesen zur Bergpredigt auf.

Der Theologe Peter Eicher zu seinen Thesen

"Im Namen Jesu kann kein Mensch ein Lehramt beanspruchen. Poetisch, politisch und religiös lehren uns die Lilien des Feldes und die Vögel des Himmels, der Sicherung der Märkte die Freude am Dasein aller vorzuziehen" - so der in Paderborn lehrende katholische Theologe Peter Eicher. Zusammen mit seiner Frau Lisette hat er 1988 das heute international größte private Hilfswerk für HIV-Positive und an AIDS Sterbende gegründet - den "Stern der Hoffnung - Aidshilfe International".

Die Erfahrungen mit Notleidenden, Schwerkranken und Sterbenden in den Favelas in Brasilien waren ein wichtiges Motiv für Peter Eicher, den scheinbar altbekannten Text der Bergpredigt, die Seligpreisungen Jesu und das Vater Unser, neu zu verstehen. Ausgehend von einer Neuübersetzung des Urtextes hat er in einer provokanten Relecture acht neue Thesen verfasst, die im Folgenden kurz zusammengefasst sind.

These 1

"Die Bergpredigt setzt der autoritären Herrschaft der Lehrenden in Sachen Religion ein Ende.“.

In seiner ersten These spricht Peter Eicher die subversive Kraft der Bergpredigt an, insofern Jesus damit die autoritäre Herrschaft über andere Menschen subversiv aushebelt. Aus der Sicht Eichers stellt Jesus den Menschen vor eine Entscheidung: Der Mensch kann versuchen, sein Leben zu bestehen und zu gestalten, nach dem, was man so tut bzw. was allen von außen allgemein durch Moral, Sitte und Gesetz zu tun vorgeschrieben wird. Das aber führt zur Konformität und letztlich zu einer autoritären Religion. Der Vorteil: Es funktioniert und fällt in der Masse nicht weiter auf. Der Nachteil ist: Weder der Friede noch die Liebe haben dabei eine Chance. Die Alternative, für die Jesus in der Bergpredigt votiert, heißt für Peter Eicher eindeutig: "Wir müssen nach einer Quelle in uns selbst suchen, nach dem, was uns befreit und versöhnt.“

These 2

"Die Bergpredigt setzt der öffentlich-rechtlichen Religion ein Ende“.

Wenn aber Religion ihren exklusiven Macht- und Methodenanspruch aufgeben muss, heißt das nicht, dass sie dadurch überflüssig würde, sagt Eicher. Religion als Form der Gottsuche bleibt eine Voraussetzung, um etwas mit dem Leben machen zu können. Das wahre Ziel aller Religionen ist es, den Menschen an jenen Ort zurückzuführen, wo alles eins ist, wo wir zur Urerfahrung der Einheit zurückfinden: zur Erfahrung der Einheit mit uns selber, zur Erfahrung radikaler Einheit mit der ganzen Menschheit und deshalb zur Erfahrung der Einheit mit Gott. Religion hat also keinen anderen Zweck, als diese eine "Lebens-Reise“ zu ermöglichen.

Das hat zur Folge: Jeder Einzelne muss das Entscheidende seines Lebens "in der Kammer" seiner selbst ausmachen, schreibt Eicher. Es geht um ein Vertrauen, das von innen kommt und mit allem, was ist, verbindet. Dies zeigt sich in der Mitte der Bergpredigt, in der Jesus zur Meditation des Gebetes zum Ursprung aller Menschen anleitet: das Gebet des "Vater Unser“ zu Gott, der ständig Zeit und Dasein schenkt und menschliches Glück durch ein mit allem verbundenes Leben will.

These 3

"In der Mitte der Bergpredigt wird die Meditation praktiziert. Das Gebet zum 'Namen', zu dem, der 'da ist'".

Peter Eicher zieht hier eine religionsphänomenologische Parallele zum Tao, einer Sammlung philosphischer und mystischer Sinnsprüche, die Laotse zugeschrieben wird und 400 vor Christus in China entstanden ist. Dort heißt es: "Ein Rad dreht sich, weil es in der Mitte eine leere Stelle gibt, um die sich das Rad drehen kann.“ Oder: "Ein Krug kann gefüllt werden, weil er leer ist.“ Es ist also die leere Stelle, die Fülle möglich macht.

Wenn man diese Fülle Gottes in sich entdeckt, dann kann einem dabei aufgehen, dass man dabei nicht etwas Einzelnes berührt, sondern etwas Allgemeines, das sich mitteilt, das größer ist als man selbst. Der christliche Mystiker Thomas Merton sagte: "Das Tor zum Himmel ist überall".

These 4

"Menschliches Glück besteht im Shalom, im Einklang mit dem Geliebten, mit der Natur, mit dem Kampf um Gerechtigkeit und mit dem Geheimnis der schöpferischen Wirklichkeit“.

Dieser Shalom, dieses Glück ist kein harmonisch glattes Glück, sondern das - im Bild gesprochen - musikalische Glück, das einen Kontrapunkt hat - ein Glück, wo Dur und Moll möglich ist, wo Spannung erzeugt wird. Zum Glück gehört auch, krank sein zu können, sterben zu können, innerhalb der feinen Grenzen des Daseins sein Leben in Fülle zu gestalten, die Angst vor dem Tod zu verlieren.

These 5

"Armut ist eine Schande. Die innere Armut der Reichen ist aber die Voraussetzung für die Abschaffung der weltweit skandalösen Verarmung der Hälfte der Menschheit.

"Selig die Armen“ - Armut als Glückzustand zu bezeichnen, erzeugt im Erstleser der Bergpredigt oft Spannung und Irritation. Wie kann jemand als glücklich bezeichnet werden, der weniger als einen Euro täglich zum Leben hat, wie die Hälfte der Menschheit. Ist die Bergpredigt nicht immer wieder schändlich zur Legitimierung gesellschaftlicher Verhältnissse missbraucht worden?

Die Thesen 6 und 7

"Glück wird in der Befreiung zur Menschlichkeit eine Erfahrung. Das Glück des Weinens räumt auf mit falschem Trost. Im Trauern wird die Gewalt durch die Akzeptanz der inneren Armut gemeinsam gelöst".

Dazu Peter Eichers These 7:
"Die Spiritualität der Freiheit ermöglicht die paradoxe Haltung einer menschlich vornehmen Moralität. Sie überwindet das christliche Ressentiment".

These 8

"Die Bergpredigt befreit von der Last der Dogmatik“.

So lautet die letzte These in der Neuübersetzung des Urtextes der Bergpredigt. Peter Eicher dazu:

"Sie verpflichtet zu seinem Glück niemanden auf eine Dreieinigkeitslehre, Christologie oder Glaubenshaltung gegenüber dem Leben nach dem Tod. Sie befreit vom Moralismus, indem sie den im Geist Armen die Freiheit des Reiches Gottes zuspricht“.

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