Eine Frage der Perspektive

Zwischen Glücks-Sehnsucht und Glücksterror

Die Erfolgreichen werden zu Halbgöttern stilisiert. Hochglanzzeitschriften verdealen das Gehabe und Geschwätz der Oberen Zehntausend als Stoff zum täglichen Träumen: Opium des Volkes auf der Suche nach einem biedermeierlich-paradiesischen "Glück".

"Du musst glücklich sein - koste es was es wolle!" - so lautet die immer wieder reinszenierte Parole unserer schönen neuen Waren-Welt. Auf der Suche nach diesem kaufbaren Glück zwischen Luxus-Gut und VIP-Event scheinen immer mehr Menschen seelisch zu erstarren.

Unter dem Diktat des Glücklichseins wachsen Entfremdung, Traurigkeit, Neid, Einsamkeit und Entsolidarisierung. Warum ist das so? Muss das so sein? Um welches Glück dreht es sich eigentlich?

Glück als Ideal

Folgt man dem antiken Philosophen Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik so streben alle Menschen nach Glück. Doch die einen verstehen darunter nur das Eintreffen eines erhofften, aber unwahrscheinlichen günstigen Ereignisses oder die Abwendung von Unglück.

Doch dieses Glück in Form eines weitgehend unbeeinflussbaren äußeren Schicksals unterscheidet sich von dem, was Aristoteles und viele seiner Philosophenkollegen unter Glück verstehen. Sie sprechen nämlich genauer vom Glücklichsein, der Glückseligkeit, einem seelischen Zustand vollkommener Befriedigung, ein Ideal der Wunschlosigkeit, zu dessen Verwirklichung wir einiges tun können.

In der nordamerikanischen Unabhängigkeitserklärung, die Thomas Jefferson 1776 niedergeschrieben hat, wird das "Streben nach Glück" (Pursuit of happiness) sogar als ein "unveräußerliches Menschenrecht" festgehalten.

Glück-Skepsis

Es wäre kein Ideal, wenn sich dagegen nicht auch Zweifel erhoben hätten. Seit dem 19.Jahrhundert beherrscht unsere Kultur ein eigentümlicher Glücksverdacht. Seine Skepsis in Bezug auf das menschliche Glück hat etwa Arthur Schopenhauer formuliert: Das Leben sei eine Unglückshaut, der größte angeborene Irrtum des Menschen sei es, dass er auf der Welt sei, um glücklich zu sein.

Man muss Schopenhauer in diesem Punkt nicht zustimmen, doch lohnt es sich, die eigentliche Sehnsucht nach Glück näher zu betrachten und gegenüber den allgegenwärtigen Glücks-Imperativen gesunde Skepsis walten zu lassen

"Glück ist machbar, Herr Nachbar"

Der Moderne Glücksbegriff entstand im Gefolge der Enttraditionalisierung- und Individualisierungsprozesse unserer spätmodernen Gesellschaft. Diese Gesellschaft ist gekennzeichnet von Optionenvielfalt, deren Kehrseite darin besteht, dem Einzelnen ständig Entscheidungen über sein Leben abzuverlangen.

Glück ist nicht mehr gesellschaftlich festgelegt, sondern muss individuell bestimmt werden. Glück ist das, was für den einzelnen Glück ist. Der Postmoderne Mensch ist seines "Glückes Schmied". Allerdings: Nicht nur wer beim Glück zu spät kommt, wird vom Leben bestraft. Auch wer zu früh kommt. Denn Glück kann man nicht direkt anpeilen. Wer dem Glück nachläuft, hat es schon verloren.

Die Börse, an der heute mit Glück gehandelt wird, ist der "freie" Markt. Er vereint durchaus Widersprüchlichkeiten in sich. Denn einerseits ist er eine Grundlage für den Wohlstand vieler in der Gesellschaft. Andererseits verbergen sich hinter den Zwängen, die er auf die Individuen, dessen Beziehungen und damit auf die Gesellschaft im Ganzen ausübt, immer auch Interessen einzelner mächtiger Akteure auf der ökonomischen Bühne.

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