Ist Kultur nur ein Geschäft wie jedes andere?

Weltmarkt der Kulturen

Nichts fürchten die Europäer mehr als den Verlust ihrer kulturellen Eigenheit, wobei Europa in sich wiederum zersplittert ist, was aus amerikanischer Sicht ohnehin nicht nachvollziehbar ist. Tyler Cowen meint, eine europäische Kultur gibt es nur auf dem Papier.

So viel Wind um eine Sache wie die Kultur kann ein amerikanischer Wirtschaftswissenschafter wie Tyler Cowen nicht nachvollziehen. Er fragt sich vielmehr, woher die europäischen Intellektuellen die Energie her nehmen, wenn sie immer noch mit dem alten Marx im Handgepäck die Dynamik des Marktes kritisieren. Denn Kultur ist schließlich auch nur eine Ware, die sich am Markt bewährt - oder eben nicht. Und schließlich, so Tyler Cowen, liegt es in der Natur des Kunstschaffenden, weltweit sein Publikum zu generieren, sich als Marke unverwechselbar zu machen und Geld zu verdienen.

Kultur lässt sich nicht in Grenzen halten

Viele Menschen im Kulturbetrieb sehen sich als Geschäftsleute. Das Problem mit Tyler Cowen ist nur, dass er mit seiner für heutige Konservative typischen Argumentationsweise die Kritiker an einem Weltmarkt der Kulturen zu liquidieren versucht. Das ist der Grund dafür, dass dialektisch geschulte Linke momentan in Globalisierungsdebatten so alt aussehen. Während sie diskutieren, dekretiert die Rechte. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Speed kills und das ganze Zeug.

Nun sagt Tyler Cowen prinzipiell etwas Richtiges: dass sich Kultur in Zeiten des globalen Informationsaustausches nicht in Grenzen halten lässt. Dass es verlorene Liebesmüh ist, eine regionale oder nationale Kultur frei von äußeren Einflüssen zu halten. Aber ehrlich gesagt, niemand, abgesehen von ultrarechten Kreisen, geht davon aus, dass eine Kultur sich nicht bewegt, vermischt und verändert. Jetzt könnte ich banal werden und sagen, wer, wenn nicht Kulturschaffende, hat die Globalisierung der Ideen vorangetrieben, lange bevor die Märkte weltumspannend waren? Jede nationale Kultur ist das Produkt der Berührung vieler Kulturen. Seit gut 20 Jahren steht der Begriff "Crossover" für die Erweiterung der Ausdrucksmöglichkeiten, vor allem in der Musik und bildenden Kunst.

Mehr Wahlfreiheit für Kultur-Konsumenten!

Das eigentliche Problem liegt ja auf der Hand und auch Tyler Cowen weiß das: dass nämlich ein freier Markt sich durch Angebot und Nachfrage selbst reguliert. Die Folgen sind bekannt: die finanziell potentesten Produzenten setzen sich durch und besetzen die Weltmärkte. Um die Konsumenten bei Laune zu halten, lässt man etwas Platz für Nischenprodukte, damit die Illusion von möglicher Individualität aufrechterhalten bleibt. Auf die Kultur umgelegt heißt das: Weg mit den Subventionen, mit Buchpreisbindung, nationalen Quoten und sonstigen protektionistischen Maßnahmen.

Stellt euch dem Markt, gebt den Konsumenten größere Wahlfreiheit. Als Kulturoptimist glaubt Tyler Cowen daran, dass dabei alle gewinnen. Die Kulturproduzenten, weil sie zielorientierter arbeiten und höhere Einkünfte erzielen können, die Kulturinstitutionen, weil sie keine nationalen Interessen mehr vertreten müssen und sozusagen vom Greißler zum Supermarkt mutieren, und die Kulturkonsumenten, weil sie die Frage nach der kulturellen Identität nicht mehr zu kümmern hat. Das wäre dann das Ende der Kleinlichkeit.

Kultur leistet auch Widerstand

Kosmopolitischer Multikulturalismus sei erstrebenswert, meint Tyler Cowen. Ein großes Wort, das, wie alle großen Worte der Konservativen, auf die Entmachtung des Individuums abzielt. "Kultur ist ebensosehr eine Sache der Selbstüberwindung wie der Selbstverwirklichung", schreibt der englische Kulturtheoretiker Terry Eagleton. "Sie feiert das Selbst, aber sie diszipliniert es auch - ästhetisch und asketisch zugleich." Kultur kann kommerzialisiert werden, aber es liegt nicht in ihrer Natur, einen Markt zu bedienen.

Kultur kann entindividualisiert werden, kann Event sein und weltweit genossen werden wie eine Dose Red Bull, aber zugleich wird sie von sich aus Widerstand leisten und Gegenstrategien entwickeln. Ich zitiere noch einmal Terry Eagleton: "Kultur ist nicht nur das, wovon wir leben. In erheblichem Maße ist es auch das, wofür wir leben. Liebe, Beziehung, Erinnerung, Verwandtschaft, Heimat, Gemeinschaft, emotionale Erfüllung, geistiges Vergnügen, das Gefühl einer letzten Sinnhaftigkeit - das alles steht den meisten von uns im Grunde genommen näher als die Charta der Menschenrechte oder Handelsverträge."

Buch-Tipp
Tyler Cowen, "Weltmarkt der Kulturen", Murmann Verlag, ISBN 3938017023