Unruhiger Denker und großer Vermittler
Auf Klarheit beharren
Die Vorlesungen von Ernst Tugendhat zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie sind in die Geschichte der Philosophie eingegangen. Er zählt zu den international bekanntesten Philosophen der Gegenwart. Diese Woche wird Tugendhart 80.
8. April 2017, 21:58
Manche Vorlesungen sind in die Geschichte der Philosophie eingegangen. Dazu gehören die von Ernst Tugendhat zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie. Anfang der 1970er Jahre hat Tugendhat damit die angelsächsisch-analytische Schule mit der kontinental-europäischen Metaphysik und Transzendentalphilosophie vermittelt.
Die Grundbegriffe menschlichen Verstehens
Die hohe schwarze Schreibmaschine der Marke Adler, die er sich 1958 in Tübingen gekauft hatte, funktioniert, trotz intensiven Gebrauchs, noch einwandfrei. Alle seine Bücher und Aufsätze, Notizen und Briefe hat er seitdem eigenhändig auf ihr geschrieben, sei es in Heidelberg, in Starnberg, Berlin oder Santiago de Chile. Heute lebt er wieder in Tübingen, mit Blick auf den Holzmarkt.
Die Klärung der Grundbegriffe menschlichen Verstehens, das ist sein Programm. "Das menschliche Verstehen lässt sich nur in Reflexion auf fundamentale sprachliche Strukturen erhellen", lehrte er seine Studenten in Heidelberg - und machte ihnen die unentrinnbare Unklarheit des Denkens deutlich.
Auseinandersetzung mit Heidegger und Wittgenstein
Der 1930 in Brünn geborene Ernst Tugendhat zählt zu den international bekannten und wirkungsvollsten Philosophen der Gegenwart. Nach Deutschland kam er 1949 aus der Emigration, um bei Heidegger zu studieren. Zunächst fasziniert, hat Tugendhat sich Schritt für Schritt zu einem der glaubwürdigsten und schärfsten Kritiker des berühmten Denkers entwickelt.
Seit den 1960er Jahren hat er sich intensiv der Sprachlehre Wittgensteins zugewandt und ist zum wichtigsten Vertreter der sprachanalytischen Philosophie in Deutschland geworden.
Moral nur vertragstheoretisch begründet
In den 1980er Jahren befasste er sich verstärkt mit der praktischen Philosophie. Er kam zu der Überzeugung, dass sich Moral nur vertragstheoretisch begründen lässt, nicht idealistisch aus der Idee der Freiheit oder metaphysisch aus dem Begriff des Absoluten.
Wichtig wurde ihm der Gedanke der Egalität: "Du sollst jeden gleich achten, niemanden instrumentalisieren." Seine späteren Schriften zur Ethik werden heute bereits als Standardwerke an den Universitäten diskutiert.
Zurück in Tübingen
Seinen Lebensabend verbringt Tugendhat nun in Tübingen - mitten in jener Altstadt, in der Hölderlin, Schelling und Hegel die größte Epoche deutscher Philosophiegeschichte mitbegründet haben.
Eine späte Rückkehr in den Schoß kontinentaler Metaphysik? Keineswegs. Tugendhat hat seine spöttische Skepsis nicht verloren. Dem Deutschen Idealismus wirft er schlicht einen "Mangel an kritischer Vernunft" vor: "Hegel konnte einfach zu wenig Logik."
Hör-Tipps
Salzburger Nachtstudio, Mittwoch, 3. März 2010, 21:00 Uhr
Dimensionen, Montag, 8. März 2010, 19:06 Uhr