Auf Orpheus' Schwingen

Über Mythologie und Kunst

Der vierzigjährige oberösterreichische Komponist und Konzeptkünstler Georg Nussbaumer wird in den letzten Jahren für seine anspruchsvollen und zugleich anspielungsreichen Arbeiten immer mehr von großen Auftraggebern und Veranstaltern geschätzt.

"Orpheusarchipel" und "Parsifalstudien“: das sind zwei der Titel von Werken des Komponisten Georg Nussbaumer. Andere lauten beispielsweise "St. Huberti Partiten" oder das "Märchen vom Lied vom Wald". Interessenten sind in letzter Zeit auch das Theater Bielefeld für eine Art Oper oder die Donaueschinger Musiktage.

Die Werktitel verraten Essentielles: In den Konzeptionen und Kompositionen von Georg Nussbaumer spielen Ebenen von Wirklichkeit eine ganz unmittelbare und direkte Rolle, die sonst in der Musik bestenfalls eine indirekte spielen dürfen: Es sind die realen Gegenstände, Bewegungen, Körper, Rituale des Musikmachens und die Verschränkung dieser Wirklichkeit, der Beobachtung dieser Wirklichkeiten mit Bildern aus der Mythologie, aus denen die Kunst und ihre Sprengkraft gewonnen werden.

Beziehungsreichtum

In der Kunst von Georg Nussbaumer spielt das Material selbst eine zentrale Rolle - und zwar nicht im Sinne von Tonmaterial, sondern im ganz realen Sinn von Holz, Perlmutt, Elfenbein, Darmsaiten und so fort. Und zwar erstens in einem - ganz im Wortsinn - handgreiflichen, taktilen Sinn, aber auch in vielfältiger symbolischer Bedeutung und Umdeutung.

"Nachdem ich von der konservativ klassischen Seite komme, interessieren mich gerade auch Formen wie das Streichquartett. Streichinstrumente im Allgemeinen, verbergen einen wunderbaren Beziehungsreichtum. Das beginnt schon bei den Benennungen der Instrumententeile nach menschlichen oder tierischen Körperteilen, vom Wirbel über den Hals zur Schnecke. Dann im Material: Die Tannen und Fichten, die da drin stecken, das Perlmutt der Einlagen, da steckt auch das Meer drin, die Unterwasserwelt, dann die ganzen Schafdarmsaiten und die Rosshaare der Bögen. Ein ganzer Kosmos ist da in jedes Instrument reingepackt, da gibt es noch vieles für einige weitere Streichquartette zu entdecken.“

Formgebung

Deswegen regen gerade traditionelle Instrumente und Besetzungen Georg Nussbaumers Phantasie an. Dazu zählen die Orgel, das Streichquartett, das Klavier, die unantastbare Königin der Instrumente oder das abendländische Paradeinstrument Klavier und seine Form als der schwarze Kontinent ebenso wie seine Form als Flügel, als Vogelflügel.

"Ikarusetude“ heißt eines seiner Stücke für Klavier. Das Klavier hat aber noch viele, auch körperlichere Aspekte, die man aus seiner Geschichte, seiner Form, seiner Bedeutung, seinen Materialien herauslesen, herausarbeiten kann. "Von der Wiege bis zum Grab“ hieß im Herbst 2003 unter Anspielung auf Wölffli eine großangelegte Aktion für die renommierten Donaueschinger Musiktage.

Die verschiedenen Teile dieser performativen Installation in mehreren Stationen fand an verschiedenen Orten statt; von den Toiletten über die Foyers bis zur Donauquelle, vom Akt der Zeugung bis zu kleinen explosiven Aktionen, in denen kleine Spielzeugklaviere, die auf einem auf den Kopf gestellten, in der Donauquelle platzierten Flügel gestellt waren. Die Klavierdeckel wurden weggesprengt, worauf sie alle ihre leisen Miniaturversionen des Donauwalzers abzuspielen begannen.

Mythologisches

Anflüge von Ironie sind unvermeidlich, wenn sich ein Künstler sosehr auf die Verschiebung von gewohnten Sichtweisen, auf das Spiel mit Bedeutungsebnen und Konzertritualen einlässt. Dennoch sind es weniger Ironie oder gar Humor, die im Zentrum des Interesses zu stehen scheinen, sondern die Vieldeutigkeit der ganz großen mythologischen Figuren.

Ikarus, Parsifal, Orpheus. Aber man sollte sich nicht von der Schwere der Namen blenden lassen, Abfluss und Staubsauger. Diese Alltagsobjekte sind es, die die Vorstellung von Scylla und Charibdis ausgelöst haben.

Als Auftragswerk des Theaters Bielefeld entstand die Installationsoper "Orpheusarchipel“, eine unauflösbare Verschränkung von Performativem und Installiertem, von symbolischen Andeutungen und realen Materialanhäufungen, von Tieren und Menschen, von Anspielungen und Zitaten. Die griechische Unterwelt im dreigeschossigen Atombunker, der Besucher als Flaneur.