Die Schrecken der Pubertät
Heul doch
Das oft beschworene "Fräuleinwunder" in der aktuellen deutschen Literatur scheint sich fortzusetzen. Nach Judith Herrmann, Juli Zeh oder Sophie Dannenberg legt nun die 24-jährige Niederrheinerin aus Kleve Melanie Arns ihren Erstling vor.
8. April 2017, 21:58
Melanie Arns schildert in ihrem Buch die schrecklichen Jahre zwischen dem 14. und dem 18. Geburtstag eines jungen Mädchens. Einer Pubertierenden. Eines Mädchens...
...oder einer Frau. Oder irgendwas dazwischen. Ich weiß nicht. Man verliert den Überblick bei der ganzen Verhütung und den ganzen Schularbeiten.
Folgt man Melanie Arns, sind jene Jahre ein einziger Horror. Sie sind geprägt von Selbstzweifeln und Orientierungslosigkeit. Sie sind erfüllt von der Sehnsucht nach Liebe, die allerdings nach jeder Enttäuschung - und die Enttäuschung erfolgt unerbittlich - zur Todesvision mutiert.
Balanceakt über den Abgründen der Gefühle
Die weibliche Pubertät, so Melanie Arns, ist voll gefüllt mit der dringenden Hoffnung auf romantische Zärtlichkeit, die unvermittelt und unvorhersehbar vom ebenso dringenden, indes höchst unromantischen Wunsch abgelöst wird, nur endlich die beschämende Last der Jungfräulichkeit loszuwerden.
Es ist ein Balanceakt über den Abgründen der Gefühle, den uns die Ich-Erzählerin in "Heul doch" vorführt. Ich bin nicht schön genug, ich bin nicht schlank genug, ich habe zu wenig Busen, ich habe zu viel Busen, ich bin nicht kess genug, ich bin nicht ausreichend ernsthaft, ich bin nicht erwachsen genug, ich bin nicht witzig genug... Sorgen und über Sorgen, Ängste und Zweifel, die nicht aufhören wollen. Und die allergrößte: Ich bin nicht cool genug, wie die jungen Menschen sagen. Denn das Allerschlimmste wäre, nicht perfekt cool zu sein.
"Hast du schon mal?", fragt mich Julia. - "Na klar, was denkst du denn?" - Gerade bei dieser Frage ist es wichtig, überzeugend zu wirken. Aber immer schön dezent bleiben. Keine ausgefallenen Einzelheiten preisgeben, das ist eklig. Auf die Frage "Und, wie war's?" nur mit einem kurzen "Gut!" antworten. Und auf "Tat's weh?" mit "Ein bisschen".
Chaotisches Innenleben
Nach außen: die coole Göre, die sich, ihr Leben und ihre Gefühle souverän im Griff hat. Innen: das absolute Chaos. Ein wahres Minenfeld der Ängste und der Unsicherheit. Die Zweifel nagen, sie fressen sich durch das Bewusstsein der jungen Ich-Erzählerin an der Schwelle zum Erwachsen-Sein.
Melanie Arns verleiht dem chaotischen Innenleben ihrer Protagonistin durch allerlei Umstände und Begebenheiten dramatischen Ausdruck. Sie phantasiert ein Glasauge und Narben am ganzen Körper als Folge eines schrecklichen Autounfalls, der nie stattgefunden hat. Im Schwimmbad und im Turnunterricht sind die visionierten Entstellungen, wiewohl von außen naturgemäß unsichtbar, ein schweres Handicap für die von der Pubertät Gebeutelte. Ich bin hässlich, ich bin schön - wer kann das schon wissen.
So schlimm kann's doch nicht gewesen sein
Ich lüge, lautet einer der ersten Sätze in dem Buch, und so entschuldigt die Autorin ihre Protagonistin und gleich auch sich selbst für so manchen bösen Widerspruch und so manche Vision. Ein von permanenten Extremen geprägter "Tanz auf dem Vulkan", der mehr den juvenilen Angstphantasien folgt, als irgendeiner Realität - so könnte man es nennen.
Drei Dutzend fatale Enttäuschungen lässt Melanie Arns ihre hormongeplagte Hauptfigur durchleben, drei Dutzend Tode lässt sie sie sterben. Bis diese endlich, nach dem Abitur mit 18, von zu Hause auszieht und schön langsam die Balance ihres Seelenlebens wiederfindet.
Melanie Arns hat ein wahrlich schwarzes Buch geschrieben, das man aber mit einem gewissen Humor im Kopf lesen sollte. So schlimm können sie gar nicht gewesen sein, die sonderbaren Jahre des Nicht-mehr-klein- und Noch-nicht-groß-Seins.
Melanie Arns, "Heul doch", Jung und Jung Verlag, ISBN 3902144793