Politisch isoliert - wirtschaftlich unabhängig

Norwegens Europapolitik

4,5 Millionen Menschen befinden sich auf einem Alleingang am Rande Europas. Norwegen ist zwar reich, doch der politische Preis, der für die Abstinenz von EU-Europa gezahlt wird, ist hoch. Und die meisten EU-Normen wurden trotzdem übernommen.

Wenn in diesen Tagen Österreich, Schweden und Finnland ihre zehnjährige EU-Mitgliedschaft feiern, dann bleibt ein Land, das sich zu jener Zeit ebenfalls um eine Mitgliedschaft bemüht hat, draußen: nämlich Norwegen.

Bei einem Referendum hat sich damals die Mehrheit der Norweger gegen einen Beitritt ausgesprochen. Der Preis für die Unabhängigkeit war hoch, denn politisch sieht sich Norwegen heute isoliert und an den Rand Europas gedrängt. Wirtschaftlich hingegen geht es dem Land heute nicht zuletzt dank der riesigen Öl- und Gasvorräte besser denn je.

Referendum ließ Beitritt platzen

An die Beitrittsverhandlungen mit Norwegen erinnert man sich in Brüssel noch heute. Norwegen ging es vor allem um seine reichhaltigen Fischbestände, die man vor dem Zugriff der übrigen Fischfang-Nationen schützen wollte. Nach zähen Verhandlungen war man sich im März 1994 einig. Das Ergebnis bezeichnet die damalige norwegische Delegationsleiterin, Grete Knudsen, auch heute noch als "für beide Seiten akzeptabel".

In der Folge - so Knudsen - sei es jedoch leider nicht gelungen, im eigenen Land darüber eine sachliche Diskussion zu führen. Es sei nicht über die Verhandlungsergebnisse gesprochen worden, sondern nur darüber, ob Norwegen unabhängig bleiben soll oder nicht.

Die Ernüchterung folgte prompt. Im darauffolgenden November stimmten 52 Prozent der Norweger bei einem Referendum gegen den Beitritt. Schon einmal, 22 Jahre früher, war ein erster Beitrittsversuch am Widerspruch der Bevölkerung gescheitert.

Die heutige EU-Stimmung

Es ist kalt geworden im hohen Norden. Das Thema EU beherrscht heute zwar nicht mehr die Schlagzeilen, es ist dennoch präsent und spaltet die Nation. An den kontroversen Positionen hat sich in den letzten zehn Jahren nicht wirklich etwas verändert. Wer damals dafür war, ist auch heute noch dafür, wer damals dagegen war, ist es geblieben. Dass die tatsächliche Entwicklung mittlerweile ganz anders gelaufen ist, stört dabei wenig.

Besonders deutlich wird das in der seit jeher umstrittenen Fischereipolitik. Industrie und Exporteure sind für einen Beitritt, weil dadurch der freie Zugang zum Markt ermöglicht wird, die überwiegende Mehrheit der 13.000 norwegischen Fischer bleibt bei ihrer verbitterten Gegnerschaft, weil sie befürchten, dass sie die Kontrolle über die Fischbestände verlieren könnten. Die Fakten haben sich jedoch verändert und zeigen heute ein anderes Bild.

Keine festen Lieferquoten mehr

Norwegen beliefert mit gezüchtetem und frei gefangenem Fisch 145 Länder und zählt damit nach China, Peru, Indien, Indonesien und Chile zu den größten Fisch produzierenden Nationen der Welt. Kristin Alnes vom Fischereiverband repräsentiert Norwegens zweitgrößte Exportindustrie:

“Die EU ist und wird auch in absehbarer Zukunft der Hauptabsatzmarkt für unsere Produkte sein. 65 bis 70 Prozent werden derzeit in die EU geliefert".

In den letzten Jahren hat Norwegen allerdings Marktanteile an Chile, die Faroer-Inseln und andere europäische Fischfang-Nationen abtreten müssen. Seit fünf Jahren gibt es überhaupt keine festen Lieferquoten mehr. Trotz niedrigerer Preise wird Norwegen immer weniger konkurrenzfähig.

Wirtschaftlich unabhängig

Norwegen hat es in erster Linie den reichen Öl- und Gasvorkommen in der Nordsee zu verdanken, dass es mit der Wirtschaft auch ohne EU gut läuft. Im weltweiten Vergleich der großen Ölproduzenten nimmt Norwegen den siebenten Platz ein. Gunnar Gjerde vom Ministerium für Erdöl und Erdgas dazu:

“Wir fördern derzeit ungefähr drei Millionen Fass Rohöl täglich, dazu kommen etwa drei- bis vierhunderttausend Fass Kondensate. Die Erdgasförderung beläuft sich auf ungefähr 75 Milliarden Kubikmeter im Jahr. Diese Förderzahlen sind nach wie vor ansteigend“.

Und das dürfte auch noch einige Jahre so bleiben. Die bekannten und erschlossenen Ölquellen reichen jedenfalls noch bis zum Jahr 2020. Bei Erdgas rechnet man sogar noch bis mindestens 2030 mit steigenden Förderzahlen. Darüber hinaus sind weitere Funde von bislang unbekannten Lagerstätten zu erwarten. Allein heuer will die Regierung 90 Milliarden norwegische Kronen in die Erschließung neuer Quellen investieren; das sind umgerechnet knapp elf Milliarden Euro.

Politisch im Abseits

Wenn schon nicht wirtschaftlich, politisch ist Norwegen heute im Abseits. Das scheint Politikern aller Parteien bewusst zu sein. Das Thema EU-Beitritt wird dennoch wie ein heißes Eisen behandelt. Im Herbst sind Neuwahlen, da will sich niemand die Finger verbrennen.

Immerhin hat Høyre - die Konservative Partei Norwegens - in ihrem Parteiprogramm festgeschrieben, einen EU-Beitritt so bald wie möglich anzustreben. Dazu seien aber Mehrheiten notwendig, die sich derzeit nicht abzeichnen, sagt Inge Lønning, Vizepräsident des Stortings - des norwegischen Parlaments - und Abgeordneter der Konservativen Partei. Derzeit werde nur darüber diskutiert, ob man ein Referendum abhalten sollte. Auch bei der norwegischen Arbeiterpartei, die vor zehn Jahren mehrheitlich für einen EU-Beitritt eintrat, will man das heikle Thema Referendum vorerst nicht angreifen, so Thorbjørn Jagland, der Leiter des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten der Arbeiterpartei.

Irgendwann wird Norwegen möglicherweise doch noch EU-Mitglied. Einen Zeitplan dafür traut sich aber heute niemand festzulegen. Vielleicht ist es auch mehr eine Frage von Generationen als eine Frage von Regierungsperioden.

Mehr zum Thema Politik in Ö1 Inforadio

Link
Norwegen und Europa - Überblick