Karrieren und Väterkarenz

Die Rush-Hour des Lebens

Ausbildung, Berufseinstieg und Familiengründung haben sich zeitlich immer mehr nach hinten auf die mittleren Jahre verschoben. Der deutsche Mikrosoziologe Hans Bertram hat für dieses Phänomen den Begriff "Rush-Hour des Lebens" geprägt.

Im klassischen Familienmodell der Industriegesellschaft war sichergestellt, dass Fürsorge den Frauen oblag. Dieses Modell ist obsolet geworden. Seit Anfang der 1970er Jahre steigt die Erwerbsquote der 35- bis 45-jährigen Frauen. In Österreich liegt die Beschäftigtenquote von Frauen bei rund 63 Prozent.

Hintergrund

Alle sprechen zwar über "Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben", tatsächlich aber haben Gesellschaft, Politik und Arbeitswelt noch nicht entsprechend reagiert - und so kollidieren diese Bereiche. Denn die Last der Fürsorge tragen nach wie vor hauptsächlich die Frauen, die das zusätzlich zum Job unbezahlt erledigen.

Eine der wichtigsten Forderungen daher: Die Frage von Vereinbarkeit oder Work-Life-Balance muss geschlechtsneutral angegangen werden.

Karrierefrauen

Viele berufstätige Frauen mit Kindern stellen sehr hohe Ansprüche an sich selbst. Ingrid Moritz, Leiterin der Abteilung Frauen und Familie in der Arbeiterkammer Wien, führt diesen vermeintlich selbst erzeugten Druck jedoch auch auf irrationale Forderungen der Gesellschaft zurück, die bei den Frauen ein schlechtes Gewissen erzeugen und zu einer innerlichen Zerrissenheit führen.

Die Gesellschaft, vor allem die Männer, müssten lernen, dass sie nicht von einer Ehefrau die Karrierefrau, Mutter, beste Hausfrau und Köchin erwarten könnten, meint auch Anna Maria Hochhauser, Generalsekretärin der Wirtschaftskammer Österreich: "Da wird man irgendwann auf der Strecke bleiben."

Die Öffentlichkeit trägt zu einem Gutteil zu derartigen Vorstellungen bei. Etwa durch Berichte in Hochglanzmagazinen über "Powerfrauen", die angeblich alles spielend schaffen: Karriere, Mann, Kind(er) und dabei auch noch toll aussehen. Tatsächlich funktionieren diese Lebensentwürfe nur für kleine elitäre Gruppen, die einen soliden finanziellen Background haben und Hilfen privat bezahlen können.

Wo sind die Väter?

In Österreich jedenfalls nicht in Vaterkarenz (ein bis zwei Prozent) und auch kaum in einer Teilzeitregelung. Manfred Auer vom Institut für Organisation und Lernen der Universität Innsbruck ortet für die Zurückhaltung der Väter kulturelle und - wegen der geltenden Einkommensunterschiede - finanzielle Gründe, aber auch informelle Barrieren in den Unternehmen.

So hätten Männer, die in Vaterkarenz gehen wollen, mit massiven Karrierenachteilen, bis hin zum Mobbing, zu rechnen. Beispiele aus den skandinavischen Ländern zeigen, dass es auch anders geht: in Schweden nehmen 15 Prozent der Väter Karenz, in Finnland gar 70 Prozent.

Die Lösungen

Die Lösungen, aus dieser Rush-Hour herauszukommen, sind unterschiedlich. Viele suchen offenbar den Schritt in die Selbstständigkeit, um ihre individuellen Vorstellungen von Work-Life- Balance verwirklichen zu können.

Immer mehr Menschen verzichten bewusst auf Kinder. Experten sprechen von einer Radikalkur, sich von den Doppel- und Dreifachbelastungen der mittleren Jahre zu befreien.

Die Politik schlägt angesichts der sinkenden Geburtenzahlen Alarm, versucht die Menschen durch diverse Anreize zum Kinderkriegen zu motivieren und malt das Schreckgespenst eines unfinanzierbaren Pensionssystems an die Wand. Und trotzdem fehlen Modelle wie in Skandinavien, die allen Menschen eine gute Work-Life-Balance ermöglichen würden.

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