Deutsch(sprachig)e Literatur strikes back

Besser als ihr Ruf

Es muss nicht immer Germanistenprosa sein, wenn von deutschsprachiger Literatur die Rede ist. Juli Zeh, Melanie Arns, Kathrin Röggla und Andreas Maier gelingt, was sonst nur amerikanischen Erzählern zugeschrieben wird: packende Storys mit Witz und Tempo.

Wir hatten uns daran gewöhnt: Fad ist sie, umständlich und hölzern. Zum Einschlafen, oder einfach nur sperrig. Wenn überhaupt, dann hat sie einen "gutmenschlichen" Anstrich, ist moralinsauer, stinklangweilig und Was-nicht-sonst-noch-alles. Die Rede ist von dieser Germanistenprosa, auch als Literatur ausgegeben, die in Deutschland und manchmal auch in Österreich verfasst wird.

Kein Vergleich mit den amerikanischen Erzählern, die eben noch wüssten, was Leser wollen: Packende Storys, Witz, Tempo und ein paar Gedanken zum Nachgrübeln vor dem Einschlafen. Gerüchte sind bekanntlich hartnäckig und in den Köpfen besser verankert als die Wahrheit. Sei’s drum, hier und heute ist der Zeitpunkt gekommen, damit aufzuräumen. Mag an dem einen oder anderen Vorwurf auch was dran gewesen sein, es stimmt nicht mehr. Ich nenne nur die Namen Juli Zeh, Melanie Arns, Kathrin Röggla und Andreas Maier. Ziemlich sicher könnte man auch noch andere nennen, ich beziehe mich lediglich auf meine jüngsten Leseerfahrungen.

"Spieltrieb"

Ein Schülerroman. Aber einer mit veränderter Konstellation. Kein grausamer Gott Kupfer quält hier den Schüler Gerber. In Juli Zehs Roman "Spieltrieb" sind es die beiden Schüler, Ada und Alev, die den Sport- und Deutschlehrer Smutek erpressen. Es geht um das Überschreiten von Grenzen und das Vertrauen auf die Macht der eigenen Vernunft.

Angesiedelt ist die Handlung in der ehemaligen bundesdeutschen Hauptstadt, Bonn; sie spielt in einer Villengegend und an einem Privatgymnasium, das nach dem Philosophen Ernst Bloch benannt ist. Zwei noch jugendliche, aber schon ausgesprochen unabhängige Geister, Ada und Alev, schließen sich zusammen. Beide sind hochintelligent und sich dessen auch bewusst, mehr noch: Sie halten sich für Seismographen ihrer Zeit.

In einer Epoche, in der die Ideologien ausgespielt, die Glaubenssysteme ihren Wert verloren haben, setzen die beiden Schüler alles auf das Spiel. Das Spiel ist die letzte verbliebene Sozial-Form, die nach Regeln funktioniert, die von allen Mitspielern eingehalten werden. Und so wählen Ada und Alev eher willkürlich den Sportlehrer Smutek zum Opfer und locken ihn in eine Falle. Ada verführt ihren Lehrer in der Turnhalle, Alev macht davon erpresserische Sexfotos. Dabei geht es Ada und Alev nicht um irgendwelche Vorteile. Sie wollen einfach nur sehen, was dann passiert.

Die erst 30-jährige Autorin, ausgebildete Juristin, legt ein spannendes und kluges Buch vor, zwei Dinge, die manchmal als unvereinbar gelten, hier funktioniert es. Juli Zeh wagt sich sogar an Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften" heran. Ihr Buch lässt sich im Sinne Arnulf Rainers auch als Musil Übermalung lesen.

"Heul doch!"

Ein anderes Buch, eine andere Jungautorin. Melanie Arns, erst Mitte 20, berichtet in "Heul doch!" von einem Mädchen, das noch bei den Eltern zu Hause wohnt. Der geliebte Bruder ist im Kindesalter bei einem Asthmaanfall erstickt. Zu Hause läuft es gar nicht gut. So wie uns das erzählt wird, ist das eine schreckliche Familienhölle. Soweit, so bekannt.

Neu ist, dass der Leser bis zum Schluss im Ungewissen darüber gehalten wird, was nun wahr -, was nur so dahergeflunkert -, oder was schlicht gelogen ist. Das betrifft etwa den Vorwurf, der Vater habe die Tochter sexuell missbraucht. Die schwerhörige, kranke Großmutter nervt. Der Vater ist autoritär. Die Mutter jammert sich durchs Leben.

Die Ich-Erzählerin ist, wie sie beiläufig erwähnt, gegen einen Lkw gelaufen und hat den Unfall schwer verletzt überlebt. Seitdem hat sie ein Glasauge, das sie Kunstauge nennt, und ihr Körper ist voller Narben. Im Turnunterricht und im Freibad schämt sie sich, ihren verletzten, deformierten Körper zu zeigen. Mit den Burschen hat sie Probleme, nur ein junger Türke, Außenseiter wie sie, scheint sie zu verstehen und zu mögen.

Nach der Matura zieht sie von zu Hause aus und landet in der Stadt, in einer WG. Ein Neuanfang scheint möglich, scheitert aber, denn die Vergangenheit wiegt zu schwer. Melanie Arns dürfte auf Meister Samuel Beckett hören, der einmal meinte: "Nichts ist komischer als das Unglück." Ihre Kleinfamiliengroteske versieht die junge Autorin mit viel Witz, allerdings einem, bei dem auf das Lachen meist das Weinen folgt.

"wir schlafen nicht"

Die Salzburgerin, Kathrin Röggla, mit Wohnsitz in Berlin hat in ihrem jüngsten Band, "wir schlafen nicht", O-Töne von Personen aus der IT-Branche eingesammelt und daraus eine durchkomponierte Collage gestaltet. Am Vorbild der legendären Wiener Gruppe orientiert, tritt sie als deren gleichsam jüngstes Enkerl souverän in die Fußstapfen eines Gerhard Rühm, Ossi Wiener und Konrad Bayer.

Röggla hat ihr Augenmerk auf jene Berufstypen gelegt, die das Zeitalter der Globalisierung und Rationalisierung hervor gebracht hat: Manager, Consulter, Netzwerk-Verwalter, Unternehmensberater, Online-Redakteure. Die Autorin präsentiert in "wir schlafen nicht" einen genauen Blick auf das Berufsleben von heute, wir sehen, wo die Menschen bleiben, wenn die heilige Geschäfts-Dreifaltigkeit aus Stress, Profit und Wachstum waltet.

"Kirillow"

Noch ein viertes Buch sei zumindest erwähnt, "Kirillow" von Andreas Maier. Der Roman ist eben erst erschienen. Er beginnt im schönen Kontrast zu Goethes "Faust" mit einem Prolog in der Hölle. Die Maiersche Hölle befindet sich in einem Mietshaus in Frankfurt-Ginnheim. Wie Andreas Maier das Milieu des Bassenatratsches treffend auf den Punkt bringt und dabei als Autor hübsch cool über der Szene wacht, dafür hätte es auch vom großen Elias Canetti Applaus gegeben.

Buch-Tipps
Juli Zeh, "Spieltrieb", Schöffling & CO Verlag, ISBN 3895610569

Melanie Arns, "Heul doch!", Jung und Jung, ISBN 3902144793

Kathrin Röggla, "wir schlafen nicht", S. Fischer Verlag, ISBN 3100660552

Andreas Maier, "Kirillow", Suhrkamp Verlag, ISBN 351841691X