An Dinge denken, an die andere nicht denken

Imaginäre Lösungen

"Physik für Aussteiger", dieses nicht gerade schmeichelhafte Etikett wurde die 'Pataphysik bis heute nicht los. Aus diesem Grund beteiligte sich das "College de Pataphysique" wie weitere 40 Physikgesellschaften aus aller Welt am Weltjahr für Physik.

Man will die Faszination der 'Pataphysik der Öffentlichkeit vermitteln und die junge Generation für diese "Wissenschaft imaginärer Lösungen" begeistern, wobei unter imaginäre Lösungen jene verstanden werden "die den Grundmustern die Eigenschaften der Objekte, wie sie durch ihre Wirkung beschrieben werden, symbolisch zuordnet".

Die Vertreter der 'Pataphysik gehen sogar soweit, ihre Wissenschaft als kulturelles Erbe der Menschheit zu bezeichnen und streben einen Schutz der UNESCO an, ist doch die Geschichte der 'Pataphysik integraler Teil der menschlichen Kulturgeschichte.

Die Wissenschaft des Speziellen

Prof. A. Rajry (1873-1907) definiert die von ihm gegründete Pataphysik als die "Wissenschaft von dem, was zur Metaphysik hinzukommt, sei es innerhalb derselben, sei es außerhalb derselben, und die sich genau so weit über diese erhebt, wie jene über die Physik".

Das dem Wort 'Pataphysik vorangestellte Apostroph ist übrigens nicht zufällig sondern absichtlich. Es signalisiert den Anspruch der ’Pataphysik, die Wissenschaft des Speziellen, des Besonderen zu sein, kurz all jener Gesetze, die die Ausnahmen bestimmen.

Grundprinzip der Äquivalenz

In den "Cahiers de 'Pataphysik", die inzwischen ihr Erscheinen eingestellt haben, um den "Dossiers acènonètes" Platz zu machen, findet sich u.a. die in Wissenschaftskreisen höchst kontrovers diskutierte Frage, ob man nicht "statt das Gesetz des freien Falls der Körper auf einen Mittelpunkt hin zu formulieren, vielmehr die These vom Aufsteigen der Leere zu einer Peripherie hin vorziehen soll, indem man die Leere als Einheit der Nicht-Dichte betrachtet ..." (Prof Uburoi).

Die ’Pataphysik, deren Grundprinzip übrigens jenes der Äquivalenz ist, kann inzwischen auf eine Reihe prominenter Anhänger auch aus anderen Wissensbereichen verweisen wie zum Beispiel Jean Baudrillard, der die ’Pataphysik als "höchste Versuchung des Geistes" bezeichnet.

Collège de Pataphysique

Unter weiteren berühmten Mitgliedern des Collège de Pataphysique finden sich Marcel Duchamp, Umberto Eco, Dario Fo, Raymond Queneau und Boris Vian. Daraus lässt sich erkennen, dass die Pataphysik nicht nur in viele Bereiche des täglichen Lebens eingreift sondern einen nicht unbedeutenden Einfluss auf Künstler, vor allem auf Schriftsteller hat.

So wurde Boris Vian in einer historischen Rundfunksendung am 23. Mai 1959 gefragt, warum es einige pataphysische Werke gebe wie etwa "Der Monolog des Angestellten", der auf dem Rücken liegend gelesen werden soll.

Boris Vian, der seinerseits mit acht, neun Jahren auf die 'Pataphysik gestoßen war, hatte darauf folgende Antwort: "Weil nie jemand an die Menschen gedacht hat, die liegend lesen. Stellen Sie sich vor, dass dieser Mensch friert. Er ist aber gezwungen beim Lesen die Hände außerhalb des Bettes zu halten; der Monolog von Ferry kann liegend gelesen werden, eine Hand außerhalb, die andere unter der warmen Bettdecke und man kann mit der einen Hand abwechselnd umblättern."

Boris Vian schließt mit einem denkwürdigen Satz, der die Ideologie der 'Pataphysik treffend charakterisiert: "Mit Fleiß denke ich gerne an Dinge, von denen ich denke, dass andere nicht an sie denken."

Nachtrag

Alfred Jarry (8. September 1873 bis 1. November 1907) war französischer Schriftsteller, Vorläufer des absurden Theaters. Er wurde weltbekannt durch das Stück "Ubu Roi" ("König Ubu") und die Erfindung der 'Pataphysik. Die im Artikel vorkommenden Zitate sind alle Originalzitate.