Anlässlich der Verleihung des Deutschen Kleinkunstpreises

100 bis 102 Schritte neben der Zeit

Für sein siebentes Solo "Vom Leben" hat sich Gunkl alias Günther Paal einfach vorgenommen, rechtwinkelig aus der Zeit abzubiegen. Gelandet ist er neben der Zeit und auf dem Siegerpodest des Deutschen Kleinkunstpreises im "Mainzer Unterhaus".

Ausschnitt aus Gunkls siebentem Solo

Stellen sie sich vor: Sie wollen ganz weit weg. Und wir sprechen da von keiner Destination, die man mit dem Auto, dem Zug, dem Flugzeug oder einem anderen Transportmittel erreichen kann. Sie wollen an einen Ort, wo es wirklich anders ist - und nicht nur ein wenig anders. Dieses Vorhaben verwirklichte Gunkl alias Günther Paal in seinem siebenten Solo "Vom Leben".

Rechts um!

Um sein Ziel zu erreichen, unternahm Gunkl den Versuch, rechtwinkelig aus der Zeit abzubiegen - und das ohne Zuhilfenahme bewusstseinserweiternder Drogen. Gelandet ist er bei seinem Experiment neben der Zeit und in weiterer Folge auf dem Podium des "Mainzer Unterhauses". Dort wird Gunkl nämlich am Sonntag, dem 13. Februar mit dem Deutschen Kleinkunstpreis 2005 in der Sparte Kleinkunst ausgezeichnet.

In der zeitfreien Zone

Wer offenen Auges zu einer gewaltigen Gehirnanstrengung bereit ist, dem präsentiert sich die Zeit in all ihrer Körperlichkeit, dachte der Kabarettist. Und mit einmal steht der Kabarettist neben ihr, neben der Zeit:

"Zeit ist etwas, woran keiner vorbeikommt. Es ist ein mehrheitsfähiges Podium, auf dem man Geschichten verhandeln kann, es weiß jeder, worum es bei der Zeit geht. Es ist nicht so, wie wenn sich Physiker über die Zeit unterhalten. Menschen erleben Zeit unterschiedlich, jeder hat seine Vorstellung, die von der anderer abweichen mag. Aber es hat jeder eine Idee von Zeit, und damit kann man operieren“,

sagt Gunkl und bewegt sich bereits in der zeitfreien Zone.

Nur Seekranke brauchen den Horizont

Wenn man sich neben die Zeit stellt, muss man sie selber machen. Es gibt weder vorher noch nachher - es ist eben alles anders, als bei uns. Aber, zum Draufkommen, beruhigt der Kabarettist sein Publikum und macht sich mit der ihm eigenen Akribie daran, das Terrain außerhalb der zeitlichen Wahrnehmung zu definieren:

Es ist nicht hell und nicht dunkel, die Farben sind undeutlich und die Landschaft erweist sich "dort drüben“ für ihn als wenig ansprechend. Was zum Beispiel fehlt, das ist der Horizont. Für Gunkl eine lässliche Laune des zeitlosen Raumes, denn der Kabarettist selbst kommt gut ohne diese Begrenzung aus. Wer braucht schon den Horizont? - Menschen auf einem Schiff, die sonst seekrank würden.

Als schwierig erweist sich das Gehen; auch das passiert nur kraft eigener Vorstellung. 100 bis 102 Schritte sind aber dann doch zu meistern. Auch Ursache und Wirkung tauschen neben der Zeit gerne einmal miteinander Platz.

Zmurcht oder das Unvorhersehbare

Aus den Untiefen einer würfelähnlichen Gestalt entschlüpft schließlich eine Gestalt - vermutlich männlich und nach komplizierten Annäherungsversuchen von Gunkl "Zmurcht“ getauft. Ein Name, den in unserem Raum und unserer Zeit der Computer des Kabarettisten trägt und stellvertretend für die Willkür des Objektes steht:

"Mein Computer macht immer iregendwelche unvorhersehbaren Dinge. Ich selbst bin ja am Computer ein Fußgänger, ein Wurm; aber Leute, die wirklich etwas davon verstehen, versichern, sich hätten vieles, was mein Computer macht, noch nie erlebt. Was hätte ich schon an Premieren von Dingen abhalten können, die offenkundig zum ersten Mal in der Geschichte der Elektronik passiert sind. Es liegt also offenbar nicht an meinem Unwissen, und ich möchte jetzt auch nicht von Strahlen sprechen - aber irgendetwas an mir rempelt die Bits vom Datenstrom, und es kommen unsinnige Dinge dabei heraus, die nicht nur mich in Erstaunen versetzen. Wäre mein Computer ein Haushaltsroboter, er hätte mir die Wohnung umgebaut, und ich hätte schon einen neuen Meldezettel“.

Von Raumrichtungen und Lärmlöchern

Gunkl überlässt es über weite Strecken "Zmurcht", die komplizierte Welt jenseits der Zeit zu erklären, beispielweise dass es mehrere Raumrichtungen gibt, von denen aber zwei gerade beim Lackieren sind. Außerdem erfährt der staunende Besucher, dass jene Menschen, die mittels geschlossener Augen in den zeitlosen Raum vordringen wollen, zwar nie dorthin kommen, aber große Lärmlöcher hinterlassen, was wiederum den allgemeinen Geräuschpegel jenseits der Zeit bedrohlich anwachsen lässt.

Postmodernes Hoffnungsvakuum

Nach einer Weile bewegt sich Gunkl im zeitlosen Raum bereits ähnlich routiniert wie auf der Kabarettbühne. Er erklärt, warum Männer ungern Hilfe in Anspruch nehmen, dass sich Erinnerungen verändern, so oft man sie aus der Schatulle hervorholt, sinniert über die Möglichkeit, als Ganzes eine verpasste Gelegenheit zu sein und stellt die rhetorische Frage: "Ich denke. Also bin ich - aber was?" Distanz erwächst ihm zur geistigen Heimat, und auf der Habenseite im postmodernen Hoffnungsvakuum kann er die Freiheit von Angst hervorheben:

"Ich habe Befürchtungen, dass etwas ins Auge gehen könnte - das unterlasse ich dann auch meistens. Aber soweit ich weiß, bin ich frei von Ängsten. Mit der Hochschaubahn zu fahren, käme für mich nicht in Frage, weil das eine materialtechnische Grenzlastübung ist. Ich gehe auch nicht mehr Schifahren, obwohl ich es an sich gern mache. Ich habe mir auch nie etwas getan. Aber ich weiß, dass man sich beim Schifahren gern schon mal etwas bricht. Und ich habe nicht den Beruf für sechs Wochen Gips. Aus dieser pragmatischen Überlegung heraus und nicht aus Angst fahre ich nicht mehr Schi“.

Via Zeitloch zum Ausgangspunkt zurück

Angstfrei in einem Nichts ohne Zeit und Raum findet Gunkl auf der Bühne dann doch das richtige Zeitloch wieder, durch das er zurück an die Straßenbahnhaltestelle gelangt, bei der alles begann. Sein siebentes Programm "Vom Leben“ handelt vielleicht mehr von den Aktivitäten, die auf jemanden zukommen, der aus Neugierde rechtwinkelig aus der Zeit abbiegt. Es ist ein kabarettistisches Gedankenpuzzle, bei dem ausschließlich der Kabarettist die Spielregeln bestimmt. Aber jenseits von Zeit und Horizont spielt das keine Rolle, ist doch ohnehin alles wirklich anders als bei uns.

Deutscher Kleinkunstpreis 2005

Der 1972 erstmals verliehene deutsche Kleinkunstpreis gilt als die bedeutendste Auszeichnung, die im deutschsprachigen Raum jährlich in den Sparten Kabarett, Chanson/Musik/Lied und Kleinkunst vergeben wird. Er wird am Sonntag, dem 13. Februar, im Mainzer Forum-Theater "unterhaus" verliehen.

Neben Günther Paal, der in der Sparte Kleinkunst als Sieger hervorging, wird auch ein zweiter Österreicher ausgezeichnet: Kabarett-Legende Gerhard Bronner, der zu den Begründern des Wiener Nachkriegskabaretts gehört. Er erhielt den Ehrenpreis in der Sparte Chanson/Lied/Musik. Gewinner der Sparte Kabarett wurde Lisa Politt. Die Deutsche, die als Solistin ebenso wie im Duo mit Gunter Schmidt kabarettistische Konsequenzen zieht, ist nicht nur eine radikale Denkerin, die gnadenlos analysiert und exakt formuliert, sie hat auch eine tolle Stimme.

Mehr zu Günther Paal, der am Freitag, dem 18. Februar, im RadioKulturhaus zu Gast ist, in radiokulturhaus.ORF.at

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