Karakalpakstan - Ökokatastrophe hausgemacht

Sand, Staub, Windstürme: ein See verschwindet

Der Aralsee, vor 50 Jahren noch der viertgrößte See der Welt, ist auf ein Drittel geschrumpft, hat das Klima verändert und seine Umgebung verwüstet. Die ökologische Katastrophe ist hausgemacht. Ursache ist die Bewässerung von Baumwollmonokulturen.

Statements aus dem Krankenhaus in Nukus

Weil von den beiden Zuflüssen, dem Syr Darja und dem Amu Darya, jahrzehntelang übermäßig viel Wasser zur Bewässerung der Baumwollmonokulturen abgezweigt wurde, kam es in Karakalpakstan, der autonomen Republik am Aralsee, zu einer Umweltkatastrophe, die vom United Nations Environment Program als "eines der folgenschwersten Desaster des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet wurde.

Wüstenlandschaft zerstört Lebensgrundlagen

Der Aralsee, vor 50 Jahren noch das viertgrößte Binnengewässer der Welt, ist am Verschwinden. Über 40.000 Quadratkilometer - eine Fläche von der Größe der Niederlande - sind bisher ausgetrocknet. Auch die medizinische Versorgung liegt darnieder. In Karakalpakstan werden von staatlicher Seite pro Person nur sechseinhalb Dollar jährlich für das Gesundheitswesen ausgegeben, laut WHO würde erst der zehnfache Betrag eine effektive medizinische Versorgung sichern. Doch dazu fehlt das Geld. Dabei ist die Zahl der Tuberkulosefälle sowie der Atemwegs- und Verdauungstrakt-Erkrankungen im Aralsee-Gebiet die höchste auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion.

Ärzte ohne Grenzen

Vor allem die Fälle der MDR, der "Multi-drug resistant tuberculosis“, also der gegen die herkömmlichen Medikamente resistenten Tuberkulose, haben stark zugenommen. So hat sich die Organisation "Ärzte ohne Grenzen“ entschlossen, in Nukus, der Hauptstadt Karakalpakstans, ein Krankenhaus zur Behandlung dieser langwierigen Krankheit einzurichten.

"Bereits 13 Prozent der neu Erkrankten und 40 Prozent der bereits Behandelten sind MDR-Fälle: eine alarmierende Zahl, denn bereits drei Prozent, die gegen die herkömmliche Tuberkulose-Behandlung resistent sind, gelten international als Grenzwert",

informiert die Direktorin über eine von "Ärzte ohne Grenzen" durchgeführte Untersuchung.

Die Ursachen der Umwelt-Katastrophe

In Sowjetzeiten wurde entschieden, dass Teile der Wüsten Kisilkum und Karakum für den Baumwoll- und sogar für den Reisanbau verwendet werden sollten - hauptsächlich mit dem Wasser des Amu Darya. Man grub dem Fluss, der breiter als der Nil war, das Wasser ab und goss die Steppe. Wo Platz war, wurde Baumwolle gepflanzt. Als das Meer wich, jubelten damals die Bauern über neuen Ackerboden und Rekordernten.

Und heute? Einöde - so weit das Auge reicht: An den Küsten kilometerlange Sandstrände, weiße Salzdünen mit einzelnen Schiffswracks, verwahrloste Fischfabriken, vereinzelt Holzbaracken, in denen Familien mit ihren Kindern ihr armseliges Leben bewältigen.

Studenten als kostenlose Arbeitskräfte

Auch heute ist Usbekistan, insbesondere Karakalpakstan, von der Baumwolle abhängig. Wenn es Zeit zur Ernte ist, kommt es jedes Jahr zu groß angelegten Kampagnen. Vor allem Studenten werden als Erntehelfer eingesetzt. Die Bezahlung beträgt pro geerntetem Kilogramm Baumwolle 36 Sum. Das sind in Euro umgerechnet etwa drei Cent. Da man pro Tag 100 Kilogramm pflücken kann, ergäbe das drei Euro. Eine ordentliche Summe, wenn man bedenkt, dass der monatliche Mindestlohn nur etwa sechs Euro beträgt. Ein Student, der pro Tag etwa 100 Kilogramm pflückt, könnte also in einer Arbeitswoche 15 Euro verdienen. Theoretisch. Denn nicht nur die Verpflegung wird abgezogen, oft wird den Studenten überhaupt nichts ausbezahlt.

Die Öko-Folgen: ein Hafen als Steppe

Die Straße nach Muynaq, das Anfang des 20. Jahrhunderts noch auf einer Insel lag, führte über einen Damm. Heute breitet sich beiderseits des Damms nur Steppe aus. Vom See keine Spur. In Muynaq selbst gibt es nur noch verwitterte, handgemalte Propagandaschilder aus der Sowjetzeit, die Fischer bei der Arbeit zeigen. Auf dem Gelände der ehemaligen Fischkonservenfabrik, in der zur Blütezeit über 20.000 Menschen Arbeit fanden, ist nur noch eine einzige Halle in Betrieb. Dort arbeiten heute sieben Leute, die von den Abfällen der Fische, die in den wenigen noch übrigen Teichen und Tümpeln gefangen werden, Fischmehl produzieren. Es ist der verzweifelte Versuch, der allgemeinen Misere wenigstens irgendetwas entgegenzusetzen.

In Muynaq werde nichts mehr produziert, sagt ein junger Mann. Kein Wunder, dass die, die noch können, dem unwirtlichen Ort den Rücken gekehrt haben. Wer immer könne, gehe weg, bestätigt unser Fahrer. Vom einstigen Wohlstand ist nicht mehr viel zu sehen. Das Kino ist geschlossen und verfällt. Sogar einen Flugplatz gab es. Auf der kaum mehr erkennbaren Landebahn wächst heute kümmerliches Gestrüpp.

Fahrt über den ehemaligen Seegrund

Hier sei überall Wasser gewesen, sagt unser Fahrer. Jetzt ist hier nur spärlich bewachsener Sand. Um von der einstigen Hafenstadt Muynaq ans Ufer des Aralsees zu gelangen, muss man heutzutage weit über 100 Kilometer auf holprigen, staubigen Pisten fahren.

Wir fahren vom ehemaligen Seegrund auf ein Plateau hinauf, das eben ist wie ein Brett. Bis zum Horizont nur graues, niedriges Gestrüpp. Später erfahren wir, dass sich in dieser menschenfeindlichen Gegend das berüchtigste Lager für politische Gefangene in ganz Usbekistan verbirgt. Viele von denen, die in diesem Lager eingeliefert worden seien, habe man niemals wieder gesehen, wird erzählt. Wer in diesem Lager verschwinde, habe keine Zukunft mehr. Aber das scheint für Karakalpakstan insgesamt zu gelten.

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Ärzte ohne Grenzen
Elender Staub - Dokumentation in "Spiegel online"