Porträt der Gesellschaft

Talschluss

In ihrem neuen Roman erweist sich Olga Flor wieder als aufmerksame und genaue Beobachterin unserer Gesellschaft, die sie mit nüchtern-analytischem Blick vorführt. Die Protagonisten bzw. Proto-Typen kommen einem alle irgendwie bekannt vor.

Das "Setting" des Romans, und dieser Begriff passt gut in die darin vorkommenden Sprachmuster, das Setting ist eine Berghütte, irgendwo in den Alpen, unweit eines Sees, von Event-Managerin und Ich-Erzählerin Katharina gekonnt inszeniert und gestylt für das Geburtstagsfest von Protagonistin Grete. Die versammelt zu ihrem 60. Geburtstag Kinder, Ehemann, Freunde der Kinder und - als alte Bekannte der Familie - Eventmanagerin Katharina selbst.

Die Handlung erstreckt sich gerade mal über drei Tage, an denen eigentlich nicht sehr viel passiert. Die Gäste treffen ein, machen in verschiedenen Konstellationen Spaziergänge, reden, essen.

Prototypen der Gesellschaft

In dieser Mikrogesellschaft finden sich Proto-Typen aus der Gesellschaft, die einem irgendwie bekannt vorkommen: die esoterisch angehauchte Grete, Ernst, ihr Ehemann, der gerüchteweise als Personalchef eines renommierten Autozulieferbetriebes auf dem Abstellgleis steht und sich in knappem Trikot mit Mountainbiking auf Trab hält, Thomas, ihr Sohn, ebenfalls mit Psychologie-Hintergrund, gescheiterter Beziehung und angehender Midlife-Crisis, sowie Tochter Sabine mit ihren beiden kleinen Kindern, Ehefrau und Mutter, die trotz Putzfrau und Kindermädchen deutliche Erschöpfungszustände zeigt, und drei junge Musiker, Vertreter der Ich-Generation. Es ist eine Art Gruppendynamik-Sitzung von Leuten, die konsequent aneinander vorbei kommunizieren.

Grete beherrscht die Sprache der Psychologie, Ernst den Wirtschaftsjargon. Die Autorin beherrscht beides und ihr entgeht keine Doppeldeutigkeit, keine Unschärfe. Umso knapper und präziser ist ihre eigene Sprache. Kein Wort ist zu viel. Trotzdem entstehen beim Lesen lebendige Bilder, wie Filmsequenzen. "Sprache interessiert mich", sagt Olga Flor, denn in der Sprache stecke sehr viel mehr drinnen, als es vordergründig den Anschein habe.

Alles unter Kontrolle?

Protagonistin und Ich-Erzählerin Katharina fällt durch ihre permanente Selbstbeobachtung auf. Nach außen hin ist sie die perfekte Organisatorin und Managerin dieses Events. Doch innerlich entfremdet sie sich immer mehr von dem Bild, das sie von sich selbst aufgebaut hat, und zieht sich in sich selbst zurück. Eigentlich sei sie eine Weiterführung der bürgerlichen Hausfrau, die alles unter Kontrolle hat, sagt Olga Flor, die es liebt, in verschiedene Rollen zu schlüpften.

Einsamkeit und die Unfähigkeit, Beziehungen aufzubauen, prägen alle Figuren. Selbst sexuelle Beziehungen sind ernüchternd. Das alles zeigt Olga Flor als Abbild der Gesellschaft.

Freiraum für Leser

Mitten in die mühsam aufgebaute Idylle platzt die Nachricht von einer um sich greifenden Vieh-Seuche im Tal. Eine Gefahr und Bedrohung von außen, mit der die einzelnen Protagonisten jeder auf seine Weise umzugehen versuchen. Doch die Kontrolle entgleitet ihnen. Die Schutzmaßnahmen greifen nicht. Der Zaun hat ein Loch, durch das die Kühe durchkommen. Das Ende bleibt offen.

Buch-Tipp
Olga Flor, "Talschluss", Zsolnay Verlag, ISBN: 3552053328

Tipp
Am 21. Februar können Sie in oe1.ORF.at eine Literatur-Kolumne lesen, die Olga Flor verfasst hat.