Porträt Gao Xingjian

Ich bleibe immer ich selbst

Gao Xingjian, erster chinesischer Literaturnobelpreisträger, ist ein Autor, dessen Namen in China selbst bis heute verschwiegen wird. Trotz seines Weltruhmes ist er ein großer Unbekannter geblieben, dessen Bücher kein populärer Lesestoff geworden sind.

Gao Xingjian: "Der Schriftsteller ist nur Beobachter."

"Wo ist der Ort, von dem aus der Schriftsteller spricht?" Gao Xingjian, im Jahr 2000 der erste chinesische Literaturnobelpreisträger, urteilt streng und unerbittlich, wenn es um seine Zunft geht: "Der Schriftsteller spricht nicht für seine Figuren. Er ist Erzähler - ein unbefangenes Auge, kalt, ein Beobachter der Außenwelt, aber auch seiner Innenwelt. Stets jedoch nimmt er diesen kalten, neutralen Blickwinkel ein. Er zeigt die Dinge, wie sie sind. Von gleich auf gleich. Er arrangiert nicht und schwächt nichts ab. Er enthüllt die menschliche Seele."

So hohe Ansprüche an sich selbst sind für Gao Xingjian eine logische Voraussetzung, da er sich an schwierige, große Themen heranwagt.

Die Schrecken der Kulturrevolution

In seinem "Buch eines einsamen Menschen", das erst im Vorjahr in deutscher Übersetzung erschienen ist, rechnet er ohne Umschweife mit den Schrecken der chinesischen Kulturrevolution der 60er Jahr ab. Er spricht die Verantwortlichkeiten für millionenfache Verbrechen an, so direkt, dass die Frankfurter Allgemeine Zeitung Gaos Buch mit Alexander Solschenizyns "Archipel Gulag" verglich. Zugleich aber begleitet Gao den Blick aufs Historische mit autobiografischen Schilderungen, wie er selbst die schlimmen Zeiten durchlebte, als Verbannter in einem Dorf in den Bergen der Provinz. Und er gesteht, dass diese Jahre unter Bauern durchaus eine prägende, beinahe glückliche Zeit für ihn war.

In diesen abgelegenen Provinzen hat Gao nämlich auch eine für ihn entscheidende Entdeckung gemacht: Chinas Zivilisation, so erfuhr er, ist keineswegs das Ergebnis einer einheitlichen Entwicklung, wie es die offizielle Lesart gerne haben will. Vielmehr entstand diese Zivilisation aus einer Vielfalt unterschiedlicher Einflüsse und wurde nicht nur von den herrschenden "Han"-Chinesen, sondern von unterschiedlichsten ethnischen Gruppen geschaffen. Dies wurde zum Thema seines anderen großen Romans "Der Berg der Seele".

Der verleugnete Schriftsteller

Das Regime in Peking fand solche Abweichungen von der offiziellen Linie freilich unannehmbar. Bis heute wird Gaos Name in Peking offiziell nicht genannt. Gao wird nicht als chinesischer Schriftsteller geführt. Tatsächlich lebt er seit den späten 80er Jahren im französischen Exil und hat auch die französische Staatsbürgerschaft angenommen.

Der mehrfache Grenzgänger Gao Xingjian führt heute ein zurückgezogenes Leben in Paris. Selten spricht er mit Journalisten. Dennoch gilt er manchen als Wegbereiter in der Begegnung zwischen der Moderne Europas und Chinas. Vor wenigen Tagen wurde ihm in Marseille ein eigenes Festival gewidmet.

Buch-Tipps
Gao Xingjian, "Der Berg der Seele", übersetzt von Helmut und Marie-Luise Forster-Latsch, S. Fischer Verlag, ISBN 359615250X

Gao Xingjian, "Das Buch eines einsamen Menschen", übersetzt von Natascha Vittinghoff, S. Fischer Verlag, ISBN 3100245040

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