Ramuz und Strawinsky

Eine Künstlerfreundschaft mit Folgen

Begonnen hat die Freundschaft der beiden Künstler Charles Ramuz und Igor Strawinsky mit der gemeinsamen Vorliebe für russische Märchen. Das berühmteste Zeugnis ihrer Freundschaft ist ein mit minimalen Mitteln aufzuführendes Bühnenstück: die Geschichte vom Soldaten.

Die Geschichte vom Soldaten (Aufnahme von 1958)

Es war eine schwere Zeit. Der Erste Weltkrieg tobte. Keine Kompositionsaufträge für Igor Strawinsky. Keine oder zu wenige Käufer für die Cahiers Vaudois, die Literaturzeitschrift des Waadtlands, deren wichtigster Autor Charles Ferdinand Ramuz war. Keine Dirigate für Ernst Ansermet, den dritten Freund im Bunde: sein Kursaalorchester von Montreux war 1914 aufgelöst worden. Ansermet lebte vom Mathematikunterricht. Die Freunde trafen sich regelmäßig zur Teezeit im Haus von Ansermet in Clarens, um zu plaudern und auch, um zu arbeiten.

Etwas ganz Einfaches

Eines Tages tauchte die Idee auf, man müsste etwas ganz Einfaches, Kleines erfinden, das in jedem Dorf gespielt und verstanden werden könnte, an dem Dichter wie Musiker zugleich beteiligt wären. Ein Stück für eine Wanderbühne. Ein Erzähler und zwei oder drei agierende Personen für die Geschichte und ganz wenige Musiker, auf jeden Fall aber Alexandre Blanchet mit seiner Maultrommel, der die drei Freunde mit seinem meisterhaften Spiel zu Begeisterungsstürmen hinriss. Ein kostengünstiges Stück, das kostengünstig allüberall gezeigt werden kann.

Die Story war auch bald gefunden: die auf einem russischen Märchen basierende Geschichte vom Soldaten, der von der Front nach Hause wandert und unterwegs einem seltsamen Fremden begegnet. Dieser Fremde, ganz begeistert vom Geigenspiel des Soldaten, will die Geige kaufen. Nach langem Feilschen willigt der Soldat ein, sein geliebtes Instrument für ein mächtiges Zauberbuch einzutauschen, das ihm herbeischaffen kann, was immer er möchte. Aber wenig später bereut er den Tausch, denn ohne seine Musik ist er einsam. Und außerdem braucht er die Geige, um die Prinzessin zu heilen und König zu werden.

Noch ein Fagott, noch eine Trompete...

Strawinsky und Ramuz machten sich mit Feuereifer an die Arbeit, doch bald wurde klar, dass Strawinsky eine ganz andere Vorstellung von "einfach" hatte als Ramuz. Ständig erweiterte er das Instrumentarium. Zur ursprünglich vorgesehenen Geige (samt Handorgel oder Gitarre und Maultrommel) kam nach und nach ein Bass, Klarinette und Fagott. "Ich muss schließlich den Raum zwischen Geige und Kontrabass füllen", erklärte Strawinsky dem verdutzten Ramuz.

Wenige Tage später wurde um eine Trompete und eine Posaune aufgestockt, und dann noch um einen Schlagzeuger. "Ramuz sperrte entsetzt die Augen auf und schien aus allen Wolken zu fallen", erzählt Ernest Ansermet in seinen Memoiren, "wobei man nie wusste, ob sein Erstaunen echt oder gespielt war." Nun, damit war klar: Aus eigener Tasche konnte dieses "Wanderbühnenstück" nicht auf die Beine gestellt werden.

Irgendwie schafften sie es dann doch. Ein treuer Freund von Ramuz, Werner Reinhart aus Winterthur, half mit einer größeren Summe aus. Am 28. September 1918 fand die Uraufführung der Geschichte vom Soldaten im Stadttheater Lausanne statt. Aber die versammelten einflussreichen Bürger auf den sauteuren Plätzen konnten sich nicht für das "absurde Werk mit der chaotischen - was soll das sein, Musik?" begeistern, das Stück fiel durch. Die anschließende Tournee durch die Schweizer Städte - von Dörfern war schon lang nicht mehr die Rede - fiel wegen der ausbrechenden Spanischen Grippe, dem Eisenbahnstreik und dem folgenden Generalstreik ins Wasser. Das Wort "Gewinn" blieb, was es war: ein Wort.

Schmerzhafte Trennung

"Die Geschichte vom Soldaten" war der Schlusspunkt der drei Jahre währenden intensiven künstlerischen Zusammenarbeit von Ramuz und Strawinsky, aus der auch noch Werke wie "Les Noces", "Renard", "Berceuses du Chat" und andere entstammten. Kurz nach Kriegsende verließ Strawinsky die Schweiz. Ramuz fiel nach der Abreise seines Freundes in eine tiefe menschliche wie künstlerische Isolation, aus der er erst fünf Jahre später herausfand, als ein großes Pariser Verlagshaus einen seiner Romane veröffentlichen wollte.

"Die Geschichte vom Soldaten" aber machte - wenn auch erst nach einigen Rückschlägen - ihren Weg. Heute gehört sie zum Kanon dessen, was ein Musikfreund kennen muss.