Hinter der Fassade des Medienimperiums
Bertelsmann
Er ist nicht so skrupellos wie Rupert Murdoch, nicht so machtverliebt wie Silvio Berlusconi und nicht so publicitygeil wie Ted Turner, ein Medientycoon - und ein nicht ganz astreiner - ist aber auch er: Reinhard Mohn, der 83-jährige Patriarch des Bertelsmann-Imperiums.
8. April 2017, 21:58
Reinhard Mohn, der vorläufig Letzte in einer Tradition von Chefs, die alle aus dem gleichen Holz geschnitzt zu sein schienen, gibt sich wie seine vier Vorfahren und Vorgänger im Familienunternehmen: fleißig und ehrgeizig, bescheiden und fromm, unauffällig und traditionsbewusst, ein Mann, der "Unternehmenskultur" groß schreibt, Verantwortungsbewusstsein predigt und sich dem Gemeinwohl verpflichtet weiß. Ein Kapitalist wie aus dem Bilderbuch? Zu schön, um wahr zu sein, sagen die Journalisten Hersch Fischler und Frank Böckelmann und entlarven das Bertelsmann-Bild als Bertelsmann-Legende - in einem Buch, das ihnen auch manche Anfeindung eingebracht hat.
Von religiösen zu verkaufsträchtigen Schriften
Wer heute von Bertelsmann spricht, spricht nicht nur vom gleichnamigen Bestsellerverlag, von Buchklub und Lesering. Auch dort, wo nicht Bertelsmann draufsteht, ist oft Bertelsmann drin: Wer die Luchterhand-Autorin Christa Wolf liest, die neue Scheibe von Britney Spears kauft oder das "Wer wird Millionär?"-Quiz bei RTL sieht, konsumiert Bertelsmann-Kultur.
Unter den größten Medienkonzernen der Welt liegt die Bertelsmann AG derzeit auf Platz fünf - mit einem Umsatz von knapp 17 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2003 und einem Gewinn von gut 1,25 Milliarden. Zahlen, von denen der gelernte Buchbinder Carl Bertelsmann nur träumen konnte, als er sich 1835 in einem armseligen ostwestfälischen Dorf namens Gütersloh als Verleger selbstständig machte und Schriften unter das Volk brachte wie den "Jugendfreund für Schule und Haus", "Die kleine Missionsharfe" oder das Evangelische Monatsblatt.
"Der Verkauf dieser Literatur ging in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts zurück, und man entschloss sich, ins Romangeschäft einzusteigen", erzählt Böckelmann. "Da man aber den Verkauf der theologischen Literatur durch eine ethische Begründung abgesichert hatte, nämlich Gottes Werk auf Erden zu verrichten, wollte man eine entsprechende ethische Begründung mit hinüber nehmen ins Romangeschäft - durch die Parole "Wir bringen den Menschen das Buch", so dass Bertelsmann eine bildungspolitische Aufgabe zu erfüllen schien. Von diesem Zeitpunkt an wird die Geschichte Bertelsmanns fragwürdig."
Zweifelhafte Literatur in der Nazizeit
Fragwürdig, weil der als Bildungsauftrag verbrämte Geschäftssinn auch vor zweifelhafter Literatur nicht zurückschreckte. So verlegte man ab 1933 vor allem Kriegs- und Kriegserlebnisbücher: Bücher, die zum "Weihnachtsbuch der Hitlerjugend" avancierten, wie Werner von Langsdorffs "Flieger am Feind", Romane von Autoren, die sich zum Nationalsozialismus bekannten, wie Will Vesper oder Hans Grimm, Jugendhefte mit Titeln wie "Bomben gegen England" oder "Torpedoboote vor!".
Gleichwohl gelang es dem Bertelsmann-Boss, einst selbst passives Mitglied der SS, sich nach dem Krieg zum Oppositionellen und Opfer der Nazis zu stilisieren, dessen Verlag wegen seiner christlich-liberalen Haltung auf das (Zitat) "Schwerste bedrückt und verfolgt" worden sei. Man glaubte ihm. Schon Anfang 1946 erhielt das Unternehmen wieder die Lizenz zum Büchermachen, und als im folgenden Jahr der damals 26-jährige Reinhard Mohn die Firma übernahm, ging es mit Bertelsmann rasch bergauf.
Unter dem Mäntelchen des "Leistungsbeitrags"
Konnte Hersch Fischler schon vor einigen Jahren belegen, wie das Haus Bertelsmann seine eigene Vergangenheit schönte und das Veröffentlichen von Nazi-Autoren leugnete, so gelingt es ihm nun gemeinsam mit Frank Böckelmann, die selbstherrlich in den höchsten Tönen gepriesene und als vorbildlich deklarierte "Unternehmenskultur" als reine Rhetorik zu entlarven.
"Bertelsmann hat das Selbstverständliche, nämlich den Profit zu maximieren, immer geleugnet oder verächtlich gemacht. Und heute erbringt der Bertelsmann-Konzern einen 'Leistungsbeitrag' für die Gesellschaft."
Denkfabrik Bertelsmann-Stiftung
Diese "ethische Absicherung" bezweckt auch eine Gründung, die in den 70er Jahren stattfand: die Gründung der Bertelsmann-Stiftung. Sie lädt ein zu Tagungen und Symposien, führt die Mächtigen aus Politik und Wirtschaft zusammen und versucht - nicht ohne Erfolg - sich als "Denkfabrik" zu profilieren.
So will Bertelsmann die eigene Unternehmensphilosophie als Modell darstellen für den viel diskutierten Umbau der Wohlstandsgesellschaft. Darüber hinaus verfolgt man mit der Stiftung, die zu knapp 58 Prozent Besitzer der Bertelsmann AG ist, aber auch handfeste materielle Interessen: den Erhalt von Firmenstruktur und Besitzverhältnissen unter Umgehung der Erbschaftssteuer.
"Es ist eine ausgeklügelte Konstruktion, dass man offiziell die Verfügungsgewalt abgegeben an die Stiftung hat, und die ist ja gemeinnützig", sagt Böckelmann. "Reinhard Mohn hat sich auf diese Weise selber ein Denkmal gesetzt und hat verhindert, dass seine Nachkommen, die Erben, diesen Konzern veräußern könnten."
Unternehmen im Umbruch
Wie geht es weiter mit Bertelsmann? Mit Thesen und Spekulationen über die Zukunft, darunter auch durchaus skeptischen Einschätzungen, schließen Fischler und Böckelmann ihre Biograsie eines Mediengiganten: eine Erfolgsstory mit Schönheitsfehlern, verdeckt unter der Schminke einer selbstgefällig zur Schau getragenen so genannten "Unternehmenskultur", die Uneigennützigkeit und moralische Integrität nennt, was Gewinnstreben und rabiate Methoden sind.
Jetzt ist das Unternehmen im Umbruch - und wohl mehr im Zwielicht als je zuvor, zumindest für die, die sich die Mühe machen, den Ausführungen Hersch Fischlers und Frank Böckelmanns zu folgen. Dass ein Murdoch skrupelloser, ein Turner eitler und ein Berlusconi machtbesessener als der Gütersloher Patriarch ist, ist da nur ein schwacher Trost.
Buch-Tipp
Frank Böckelmann/Hersch Fischler, "Bertelsmann. Hinter der Fassade des Medienimperiums", Eichborn Verlag, ISBN 3821855517