Spontangedichte von Andreas Okopenko

Streichelchaos

Neue Spontangedichte von Andreas Okopenko finden sich in einem Band versammelt, der den nicht eben schlechten Titel "Streichelchaos" trägt. Okopenko selbst erklärt den Begriff "Streichelchaos", indem er uns sogleich in den Safari-Park Gänserndorf entführt.

Im Safari-Park Gänserndorf wendet sich Okopenkos Blick von freistehenden Löwen und frechen Affen ab und findet seine Hauptattraktion in den zahmen Jungtieren, die im so genannten "Streichelzoo" auf die Hände sanfterer Abenteurer warten. Von Geißböcklein, Lamas und Eselchen, die allesamt und mit Gewalt nur auf das eine zu warten scheinen, nämlich gestreichelt zu werden, vermochte sich der Autor, wie er schreibt, kaum loszureißen. Und auch zum Stehen war ihm zwischen den von allen Seiten andrängenden Fellen bald kein Platz mehr gegönnt. Hilflos daliegend, und quasi alles streichelnd, was ihm unter die Finger kam, musste er schließlich von seiner Frau in die Menschenwelt zurückgezerrt werden.

In seinen spontanen Gedichten stellt sich der Autor das ganze Universum wie ein einziges "Streichelchaos" vor. Insofern, als wir in ihm alle zusammenlebten, sei dieses Universum ein relativ freundlicher Ort; insofern, als in ihm schon auch die künftigen Löwen brüllten, bekämen wir es in ihm aber doch auch mit der Angst zu tun.

Nach Durchforstung der Notizwelten

Okopenkos Textwelten sind ganz und gar nach diesem ambivalenten Muster gestrickt, in ihnen fällt der Schrecken oft ansatzlos in die Idylle ein. Das frühe Gedicht "Kinderjause" bietet dafür das wahrscheinlich anschaulichste Beispiel: In seinem Verlauf stellt sich heraus, dass die Mutter letztlich die Oberhoheit über die sich immer wilder gebärdende Kinderschar behält, sie nämlich hat den verabreichten Kakao schon vorher mir Gift versetzt.

Im Band "Streichelchaos" tauchen solche, ehemals sukzessiv entwickelte Räume nur noch momenthaft auf. Meist sind die versammelten Gedichte nur wenige Zeilen lang, neben Einfällen der letzten Jahre hat der Autor ältere Notizzettel durchforstet und auch diese Textsplitter weitgehend ohne Nachbearbeitung zum Druck gebracht.

Inklusive ironischer Kommentierung

Gemeinsam ist allen Gedichten ein formales Merkmal; durchgängig tragen sie einen Titel, der die weit gefächerten Inhalte oft auf erkennbare und manchmal auch tagesaktuelle Themen bezieht, wobei diese Themen damit sogleich eine ironische Kommentierung erfahren. So findet sich beispielsweise unter dem Titel "Rechtschreibreform (Provisorium)" der bleibende Vers:

Der Beistrich liegt im Kom(m)a,
und das bis nächsten Som(m)a


Als ein "Umwerfendes Forschungsergebnis" wiederum präsentiert Okopenko in einem anderen Spontangedicht die erstaunliche Erkenntnis:

Minotaurus hieß in Wahrheit Dinosaurus

Worte, die nicht mehr voneinander ablassen

Wer oder was mit solchen und ähnlichen Wendungen auch immer gemeint sein mag, seiner Freude am Reim geht Okopenko hemmungslos nach. "Agar agar zauzarim" hatte Peter Rühmkorf dereinst seine empfehlenswerte Geschichte des Reimes und der menschlichen Anklangsnerven genannt.

Die Lust, von der Rühmkorf sprach, scheint in Okopenkos "Streichelchaos" in einer geradezu anarchistischen Weise freigesetzt - die Worte lassen nicht mehr voneinander ab. So reimt dann also das Adjektiv "kinderlos" auf "Calvados", "Heuschrecken" fügen sich zu "Neuschrecken", und selbst noch der simpelste "Honig" schmeckt irgendwann einmal ganz sicher "pfefferonig."

Gerne und oft in der Hölle

Auch wenn man nicht unbedingt davon sprechen kann, dass Okopenkos Gedichte auf eine durchgängige Stimmungslage verweisen, scheint in dem neuen Band sehr viel auf ein apokalyptisches Szenario bezogen, das aber stets irgendwie gebremst erscheint.

Einer "Letztzeitdame" widmet der Autor einen seiner besten und wohl auch typischsten Texte und auch ansonsten sucht er im "Streichelchaos" gerne und oft die Hölle auf. Eine der Erfahrungen, die das schreibende Unbewusste dort unten macht, ist die Erkenntnis, dass eine laue Temperatur von 60 Grad oftmals die bei weitem größere Qual ist. Eine Art Zwischenwelt, die letztendlich auch in jenem "Epitaph" anklingt, den sich der Autor setzt:

Pardon, ja ich stinke, ich bin eine Leiche.
Ich bin Okopenko, doch nicht mehr der Gleiche.

Buch-Tipp
Andreas Okopenko, "Streichelchaos. Spontangedichte", Ritter Verlag, ISBN 3854153627