Vom Versuch, die Eltern zu "zähmen"
Barbara Honigmann
Über das Leben der eigenen Mutter handelt der neue Roman von Barbara Honigmann. Die Schriftstellerin und Malerin, gebürtige Wienerin, versucht in "Ein Kapitel aus meinem Leben" nicht nur das Leben der Eltern, sondern auch das eigene zu begreifen.
8. April 2017, 21:58
Mit der Mutter ausgesöhnt
Liest man die Kritiken zu ihren Büchern, dann stößt man auf viele unterschiedliche Lese-Erfahrungen und Beschreibungsversuche - und doch sind sich alle in einem einig: Die Autorin Barbara Honigmann weiß zu erzählen, ihrem Sprachfluss folgt man gerne, schon nach wenigen Zeilen wird man - ganz ohne Anstrengung - zum Wegbegleiter.
"Ein Kapitel aus meinem Leben" heißt ihr neuer Roman über ihre Mutter, die 1991 verstarb und ein bemerkenswertes Leben zwischen Österreich, Frankreich, England, Deutschland führte.
Mutter verheiratet mit einem Sowjet-Spion
Alice - Lizzy - Kohlmann, Barbaras Mutter, irritierte die Tochter immer wieder mit ihrer Verschlossenheit, vieles bleibt unklar, bleibt unausgesprochen. Als eines Tages Journalisten vor der Tür standen, erfährt die Tochter erst, dass ihre Mutter lange Jahre mit dem sowjetischen Meisterspion Kim Philby verheiratet war.
Im Buch versucht Barbara Honigmann die Lebensgeschichte ihrer Mutter zu rekonstruieren: Geboren in Wien, aufgewachsen bei den Eltern in Ungarn, nahe der Grenze. Nach Angaben der KPÖ 1933-1934 illegal für die KPÖ tätig und deswegen in Haft.
1934 Übersiedlung nach Paris, gemeinsamen mit ihrem Mann, dem jungen englischen Marxisten Kim Philby, den sie in Wien kennen gelernt hatte. Philby nimmt am Spanischen Bürgerkrieg teil, seine Frau bleibt in Paris, ist dort strahlender Mittelpunkt vieler Feste und Zusammenkünfte der Intellektuellen.
Ende der Ehe durch Verhaftung
Nächste Station ist England, die Ehefrau - so scheint es - ist eingeweiht in die Spionagetätigkeit ihres Mannes, der als Mitarbeiter der britischen Abwehr MI6 nach dem Zweiten Weltkrieg auch für die Genossen in Moskau arbeitet. 1964 wird er als sowjetischer Spion enttarnt, er lebt bis zu seinem Tod im Jahr 1988 in Moskau.
Noch in England heiratet Lizzy Kohlmann den Journalisten Georg Honigmann, mit ihm geht sie zurück nach Deutschland. Als überzeugte Kommunistin lebt sie in Ost-Berlin, wo auch Tochter Barbara geboren wird. Die Ehe hält nicht, die Tochter wächst bei der Mutter auf.
Annäherung an die Mutter und sich selbst
"Ein Kapitel aus meinem Leben", das Buch über ihre Mutter ist einmal mehr der Versuch, auch die eigene Lebensgeschichte neu zu begreifen.
"Sie hat mich geboren und nun setze ich sie wieder als Legende in die Welt. Kurz hinter der Wahrheit und dicht neben der Lüge, so wie es ihr Credo war, schreibt Barbara Honigmann gegen Ende des Buchs über ihre Mutter.
"Es sei schon seltsam", sagt sie. "Beim Blick in den Spiegel sehe sie jetzt immer öfter ihre Mutter."
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Buch-Tipp
Barbara Honigmann, "Ein Kapitel aus meinem Leben", Hanser Verlag, ISBN 3446205314
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