Zwischen Kohlehalden und Baggerseen

Junges Licht

Nach dem Erscheinen seiner "Ruhrgebiets-Trilogie" in den 90ern hängte man dem deutschen Autor Ralf Rothmann das Etikett des "Ruhrpott-Romanciers" um. In seinem jüngsten Roman, "Junges Licht", kehrt der 51-Jährige noch einmal zurück ins Milieu.

Wir befinden uns in einer Bergarbeitersiedlung tief in den 60er Jahren. Das war die Zeit, als die Beatles erste Erfolge feierten, und wollene Badehosen allmählich aus der Mode kamen. Der 12-jährige Julian lebt mit seiner Familie zwischen Kohlehalden und Baggerseen.

Mit der Hauptfigur seines Romans zielt Ralf Rothmann auf den Herzinnenraum des Lesers. Der 12-jährige Julian ist ein Bursche, der unsere Sympathien weckt. Julian hat's nicht leicht: Er muss den Lehrer erdulden, der ihn schikaniert, die Mutter, die ihn mit Kochlöffeln verprügelt, er erduldet die Rabauken von der Kleekamp-Bande, die seine Kaninchen töten, und Herrn Gorny, den Hausbesitzer, der kleine Jungs attraktiv findet und ihm zweideutige Avancen macht. Das Blödeste aber ist: Julian muss die Sommerferien zu Hause bei seinem Vater verbringen, weil das Urlaubsgeld nicht für alle reicht: Mutter und Schwester fahren allein zu Oma nach Schleswig-Holstein.

Wenn der Eros dampft

Rothmanns Buch ist ein Entwicklungsroman. Julian steht am Eingang zur Pubertät, er vergräbt sich in seinen "Prinz Eisenherz"-Heften, er liebt das Meerschweinchen und den Nymphensittich in seinem "Tierclub", er beharrt auf seiner "Unschuld", während rings um ihn, in der Welt der Erwachsenen (und der Halb-Erwachsenen), der Eros dampft. Da ist zum Beispiel Marusha, die 15-jährige Tochter des Hausbesitzers, eine echte Ruhrpott-Göre, die Julians Phantasien befeuert.

Sie trug eine rote Turnhose und ein Männerunterhemd ohne Ärmel und stellte ihre Füße auf den Tisch. "Na du?" gähnte sie. "Sagt man nicht guten Morgen?"

Ich nickte. Das Hemd spannte sich über ihrem Busen, das Gewebe schien dort dünner zu sein. Auf den Unterarmen hatte sie dunkle Härchen. Ich mochte die Sommersprossen auf ihrer Nase und die kleine Mulde am Kinn, und auch die bläulichen Schatten unter ihren Augen gefielen mir.

Jonny hat eine Motoguzzi

Klar, dass Julian bei Marusha keinen Auftrag hat. Das Mädchen hält sich mehr an Jonny, einen dynamischen Motoguzzi-Fahrer, der sie nachts in ihrem Zimmer besuchen darf. Julian belauscht die beiden:

Später hörte ich das Bettgestell knarren, die Federn ächzten, und Marusha atmete schnell und zittrig und stöhnte leise. Von ihm hörte ich nichts. Ich setzte mich auf den Boden, drückte den Rücken gegen die Wand und sah in den Himmel. Es war etwas Silbernes in den Lauten da drinnen, ganz zart, wie Mondlicht auf Milch, und ich fühlte, wie sich die Härchen auf meinen Unterarmen sträubten.

Unsentimentaler Blick auf die Welt der Heranwachsenden

Ralf Rothmanns jüngster Roman ist von der Kritik einhellig gelobt worden. Wohltuend an "Junges Licht" ist der einfühlsame, ganz und gar unsentimentale Blick auf die Welt eines Heranwachsenden. Von gefühligem Proletkult ist Rothmann dabei eben so weit entfernt wie von der "Literatur der Arbeitswelt" seligen Angedenkens.

Überraschend, welche Namen der in Berlin lebende Autor nennt, wenn es um Schriftsteller geht, die ihn beeinflusst haben: Neben amerikanischen Romanciers wie Richard Ford und James Salter macht Rothmann vor allem Dichter der europäischen Romantik namhaft: Eichendorf und Novalis - nicht eben Autoren, an die man bei der Lektüre von "Junges Licht" denken würde. Ralf Rothmann ist eben immer für Überraschungen gut.

Buch-Tipp
Ralf Rothmann, "Junges Licht", Suhrkamp Verlag, ISBN: 3518416405