Gottfried Benn liest Gottfried Benn

Das Hörwerk 1928-56

"Meinen Sie wirklich, die Leute wollen so etwas im Radio hören?" Gottfried Benn, der große Schwierige der deutschen Literatur, musste vor Aufnahmeterminen immer wieder überredet werden, ins jeweilige Studio zu kommen, um dort seine Texte ins Mikrophon zu sprechen.

Gottfried Benn liest "Der Dunkle"

Gottfried Benns Verhältnis zum Radio war nicht gerade unkompliziert. "Am Freitag", so schrieb der Dichter und Arzt 1931 in einem Brief an den Komponisten Paul Hindemith und dessen Frau Gertrud, "betreibe ich wieder das unvornehme Geschäft eines Rundfunkvortrags", setzte aber hinzu: "Schade, dass Sie nicht zuhören".

Ein "schönes Zubrot"

Noch 1949 konstatierte er, Radio sei sehr gegen seine Neigung. Diese von ihm bekundete Antipathie kontrastierte allerdings merkwürdig mit der Tatsache, dass seine Stimme mit ihrer präzisen Intonation häufig in diesem Medium zu hören war. Er nützte die Möglichkeiten des Rundfunks intensiv. Schließlich boten ihm seine Radio-Auftritte Zugang zur literarisch interessierten Öffentlichkeit, und die Honorare waren auch nicht zu verachten. Wörtlich sprach er von einem "schönen Zubrot".

Die ganze Bandbreite seines Schaffens spiegelt sich in Benns Hörwerk: Vorträge, Lyrik-Lesungen, Reden, Interviews, Selbstauskünfte, Prosastücke, Hörspiele, Podiumsdiskussionen und Essays. Die letzte Aufnahme, eine Lesung seines Gedichts "Quartär", entstand knapp vor seinem Tod im Jahre 1956.

Aus den Archiven der Rundfunkanstalten

Langwierige Recherchen waren notwendig, um herauszufinden, dass rund zwei Drittel von all diesem Material noch in den Bandarchiven öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten in Deutschland und der Schweiz vorhanden sind. Nicht erhalten geblieben sind bedauerlicherweise die Tonaufnahmen just jener Essays, in denen sich Gottfried Benn im Jahre 1933 als Sympathisant des Nationalsozialismus outete.

Kurz danach erkannte er seinen politischen Fehltritt und vollzog die ideologische Kehrtwendung. Nachdem er dem NS-Regime die kalte Schulter gezeigt hatte, war für ihn bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs an Rundfunkauftritte nicht mehr zu denken. Der Großteil der erhaltenen Tondokumente stammt aus der Zeit von 1948 bis zu seinem Tod 1956.

Hörbuch-Tipp
Robert Galitz, Kurt Kreiler, Martin Weinmann (Hg.), "Gottfried Benn: Das Hörwerk 1928-1956", mit 65-seitigem Buch, erschienen bei Zweitausendeins, 1 MP3-CD oder 10 CDs, ISBN 3861506548 oder ISBN 3861506505