Gesamtausgabe
Friedrich Hölderlin
Er gilt heute als einer der großen Dichter und Denker Deutschlands. Als Hölderlin 1843 im Alter von 73 Jahren starb, schien mit ihm jedoch auch sein Werk begraben zu werden. Dietrich E. Sattler arbeitet seit Jahren an einer historisch-kritischen Gesamtausgabe.
8. April 2017, 21:58
Seit 20 Jahren arbeitet Dietrich E. Sattler an einer Gesamtausgabe von Hölderlins Werk. Noch ist diese nicht ganz abgeschlossen, da hat Sattler jetzt beim Luchterhand Literaturverlag eine zwölfbändige Leseausgabe herausgegeben: sämtliche Werke, Briefe und andere Dokumente von Hölderlin und aus seinem Freundes- und Bekanntenkreis.
Allte Texte in chronologischer Reihenfolge
Das, was Sattlers Hölderlin-Ausgabe zum Ereignis macht, ist der Umstand, dass er alle Texte in chronologischer Abfolge präsentiert: Briefe stehen so neben Gedichten, Tagebucheintragungen neben Aufsätzen, Textfassungen zum Roman "Hyperion" neben philosophischen Entwürfen. Zusätzlich zitiert Sattler auch Briefstellen von Zeitgenossen, in denen über Hölderlin berichtet wird. Damit entsteht ein lebendiges Bild des Dichters, das Hölderlins Lebenspraxis, sein Denken und sein Schreiben miteinander verwebt.
Im hymnischen Fragment "Wie wenn am Feiertage..." tut Hölderlin seine Sicht des Dichterberufes kund: Der Autor ist Vermittler zwischen dem Kommenden und dem "Volk", seinen Lesern und Hörern, denen er geradezu mit göttlicher Kraft "bessere Tage" verkündet.
Doch uns gebührt es, unter Gottes Gewittern,
Ihr Dichter! Mit entblößtem Haupte zu stehen,
Des Vaters Stral, ihn selbst, mit eigner Hand
Zu fassen und dem Volk' ins Lied
Gehüllt die himmlische Gaabe zu reichen.
Finanzielle Not
So lautet die hymnische Vision des Dichters, doch Hölderlins reale Lebensumstände sehen anders aus. Mitte 1800, zur selben Zeit als er das Gedicht verfasst, schreibt Hölderlin an seine Mutter und bittet wie so oft um finanzielle Unterstützung.
Wenn es Ihnen aber möglich wäre, noch mit einigen Karolinen mir in einiger Zeit auszuhelfen, und mich so vollends sicher zu stellen, so werde ich es mit herzlichem Dank annehmen und wohl auf ein Jahr lang Sie, liebe Mutter! unbelästigt lassen können. Haben Sie eben jetzt noch Geduld mit mir! An Fleiß und gutem Muth und gehöriger möglichster Einschränkung soll es nun nimmer fehlen.
Zeit seines Lebens unverstanden
An Fleiß und gutem Mut in dichterischer Hinsicht fehlte es Hölderlin wahrlich nicht. Seine Oden, Elegien, Hymnen, sein Roman "Hyperion", die Dramenfragmente zu "Der Tod des Empedokles", seine Pindar- und die Sophokles-Übertragungen und vieles mehr bezeugen den hohen Rang seines dichterischen Schaffens.
Der dichterische Ruhm blieb ihm jedoch zu Lebzeiten versagt; nur wenige verstanden, welche Bedeutung seiner Dichtung zukommt. Nervenkrisen waren die Folge, von ärztlicher Seite wurde attestiert, der Dichter verfalle zusehends dem Wahnsinn. Schließlich schob die Familie ihn 1807 nach Tübingen ab, wo er die restlichen 36 Jahre seines Lebens in engen räumlichen Verhältnissen zubrachte. Die so genannten "Turmgedichte" aus dieser Zeit sind von einzigartiger sprachlicher wie gedanklicher Klarheit. Im Gedicht "Der Mensch" heißt es:
Als wie allein ist er im andern weiten Leben,
Wo rings der Frühling grünt, der Sommer freundlich weilet
Bis daß das Jahr im Herbst hinunter eilet,
Und immerdar die Wolken uns umschweben.
"Hölderlin pur"
Leider hat Dietrich E. Sattlers Hölderlin-Ausgabe auch ihre Schwächen. Es fehlt ein alphabetisches Inhaltsverzeichnis aller Gedichte und aller Gedichtanfänge. Das ist um so schlimmer, da Hölderlin über längere Zeiträume mehrere Fassungen von lyrischen Texten geschrieben hat. Im rein chronologisch angeordneten Werkregister dauert es daher seine Zeit, bis man ein bestimmtes Gedicht oder die Endfassung eines Gedichts gefunden hat. Da ja viele Personen aus Hölderlins Lebensumfeld in Briefen zur Sprache kommen oder von ihnen Briefauszüge abgedruckt sind, wäre es auch von Vorteil gewesen, ein Personenregister anzulegen.
Man könnte es so sagen: Dietrich E. Sattler möchte den Lesern "Hölderlin pur" präsentieren. Das ist ihm auch gelungen. Wer Hölderlin nahe sein möchte - seinen Texten und seinem Leben - und dabei auch Zeitgeschichte - im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert - betreiben will, dem sei Dietrich E. Sattlers Hölderlin-Ausgabe durchaus empfohlen.
Buch-Tipp
Dietrich E. Sattler (Hrsg.), "Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente", Luchterhand Literaturverlag 2004