Journalist Ulrich Ladurner und sein neues Buch

Tausendundein Krieg

Ein Plädoyer für eine neue Art der Kriegsberichterstattung - das ist das neue Buch des Südtiroler Auslandskorrespondenten Ulrich Ladurner. Der Journalist lässt darin u. a. Menschen Geschichten erzählen, die vom Leben unter Diktatur, Krieg, Terror und Vertreibung handeln.

Ulrich Ladurner über seine Art, Interviews zu machen

Seit vier Jahren ist er als Journalist der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit“ in der Region Afghanistan, Iran und Irak unterwegs - als Kriegsberichterstatter der anderen Art: Nicht aufgeregt tritt er auf, nicht als verwegener Abenteurer, sondern nachdenklich und still. Die Medienmaschinerie, die sich auf den jeweils aktuellen Kriegsschauplätzen in Gang setzt, sieht er distanziert und beschreibt sie mit kritischen Worten in seinem neuen Buch "Tausendundein Krieg".

Egoistischer Wanderzirkus

"Die Medienmaschine lässt sich mal hier, mal dort nieder. Sie schlägt ein Zirkuszelt auf und bringt ein blutiges Stück zur Aufführung. Bösewichter und Opfer treten auf, das Publikum erstarrt vor Schrecken - dann wird das Zelt wieder eingepackt. Die Medienmaschine verschwindet, um sich am nächsten Schauplatz niederzulassen. Die Länder, die für kurze Zeit im Rampenlicht standen, fallen ins Dunkel zurück.

Die Besatzung dieser Maschine besteht aus Journalisten und Politikern. Sie nutzen einander nach Kräften aus: Die einen sind auf der Jagd nach Quoten, die anderen auf der Suche nach Wählerstimmen. Beide haben eines gemeinsam: Die Orte, an denen sie sich niederlassen, sind für sie nur so lange von Belang, wie sie für ihre eigenen Interessen nützlich sind. Der Wanderzirkus zieht weiter, wenn er glaubt, er hätte mit seinem Stück alle zahlenden Kunden bereits erreicht. Zurück bleiben zerstörte, entwürdigte Regionen.

Diese Maschine ist egoistisch, sie benutzt die Objekte ihrer Wahl, um sich selbst am Leben zu erhalten. Sie frisst in sich hinein, sie kaut, sie verdaut. Sie spuckt Unverdauliches wieder aus und hinterlässt es wie nicht abbaubaren Müll."

Menschen im Mittelpunkt

Ulrich Ladurner versucht, dagegen zu halten, indem er den Menschen, über die er schreibt, viel Zeit schenkt, indem er sie wieder und immer wieder trifft, bis sie sich ihm wahrhaft öffnen. In seinem Buch erzählt er von solchen Menschen, die stellvertretend für Schicksale der vielen Namenlosen stehen. Es ist ein Versuch, Menschen im Krieg darzustellen. Dabei lässt er sich nicht von Katastrophen ablenken oder aus der Ruhe bringen, fährt auch nicht mit einem auffälligen Allrad-Geländewagen durch die Lande, sondern bevorzugt ein klappriges Taxi. Und wenn er sich unters Volk mischt, lässt er die Splitterschutzweste daheim:

"Es gilt, dieses Machtgefälle zu verwischen, um den Menschen nahe sein zu können, obwohl das gleichzeitig auch Gefahr für das eigene Leben bedeutet".

"Das Paradies der Toten"

So nennt er in seinem Buch den Iran - ein Land, in dem die Idee des militärischen Märtyrertodes entstand, der später in Palästina zum Selbstmordattentäter umgeformt wurde und schließlich seit dem 11. September mit dem "Selbstmordterroristen“ zum neuen Feindbild des Westens wurde.

Der Selbstmord ist aber im muslimischen Glauben verpönt. Die Märtyrersoldaten im Iran-Irak-Krieg starben zwar, indem sie sich beispielsweise freiwillig mit einem Sprengstoffgürtel vor einen Panzer warfen, aber es war für sie wichtig, dass sie durch die Hand des Feindes starben. Der Tod wird als Opfer für Gott erlebt.

"Ich habe Schönheit gesucht"

… antwortete ein iranischer Soldat auf die Frage Ladurners, warum er in den Krieg gezogen sei. Auf einem Marsch durch einen Fluss gegen irakische Stellungen wurde sein Kumpel angeschossen:

"Trotz starker Schmerzen, bemühte sich mein Kamerad, ruhig zu sein, um nicht entdeckt zu werden. Als er merkte, dass er zu stöhnen begann, steckte er den Kopf unter Wasser und löste seine Hand von meiner Schulter. Der Fluss trieb ihn weg. Er hat uns nicht verraten wollen. In diesem Moment habe ich Schönheit empfunden. Sein Opfertod war schön!“

Pulverfass Irak

Auch auf seinen Reisen durch den Irak - ein Land, das schwer an den Opfern der Kriege der letzten 25 Jahre zu leiden hat - schildert Ladurner mehrere Erlebnisse, in denen die Wut über die permanente Demütigung durch die US-Besatzung ebenso deutlich spürbar wird wie der Hass gegen den ehemaligen Diktator Saddam Hussein:

"Der Westen nimmt das Leid, das nach dem Krieg in den Ländern zurückbleibt, offensichtlich kaum wahr. In westlichen Ländern werden nur Tod und Krieg über den Umweg der Terroranschläge im Alltag präsent."

Einziger Konsens: US-Besetzungsende

Ladurners Fazit im Buch: Das Problem Irak wird den Westen noch über viele Jahrzehnte beschäftigen:

"Im Irak gab es die Widerstandskämpfer, den schiitischen Klerus, die Reste der Baath-Partei, es gab Al Kaida, es gab die Stämme, die Clans, die Ethnien. Ein Konsens zwischen allen Gruppen herrschte nur in Bezug auf das baldige Ende der Besetzung durch die USA. Die Gesellschaft musste nach 30 Jahren Saddam erst wieder zu sich selber finden. Unter dem Schirm der Besatzungsmacht konnte sie das aber nicht, weil fast alle Energie sich gegen den Besatzer wandte. Der Irak glich einem Puzzle, dessen Teile nicht zusammenfinden konnten."

Land der tausendundein Kriege

Und so würde laut Ulrich Ladurner das Bild des neuen Irak auf längere Zeit aussehen:

"Hier das Königreich eines Milizenführers, da eine kleine religiöse Republik, dort ein relativ ruhiger, demokratischer Landstrich und andernorts ein Zentrum des Widerstandes, durchsetzt mit Terroristen der Al Kaida. Dieses Gebilde wäre weder stabil noch friedlich. Der Irak bliebe das Land der tausendundein Kriege."

Buch-Tipp
Ulrich Ladurner, "Tausendundein Krieg", NP Verlag, ISBN 385326350X

Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach Ende der Live-Ausstrahlung im Download-Bereich herunterladen

Links
Tausendundein Krieg - Rezension
Es ist wie auf der Jagd - Interview in "Südtirol online"