Der Fall Majorana - Teil 2

Die Wissenschaft des Ettore Majorana

Ettore Majorana wird in eine Reihe mit Galilei und Newton gestellt. Seine Kerntheorie führte dazu, dass der Vater der Quantenmechanik Werner Heisenberg seine eigene Kerntheorie korrigieren musste. 1938 verschwand Majorana spurlos.

Am 26. März 1938 bestieg der Physiker Ettore Majorana das Postschiff von Palermo nach Neapel, um dort am physikalischen Institut seine Vorlesung zu halten. Seit diesem Tag gilt das Genie, das Wesentliches zur ersten Kernspaltung beigetragen hat, als verschollen

"... auf der Welt existieren Wissenschaftler verschiedener Kategorien. Personen zweiten und dritten Ranges, die ihr Bestes tun, aber nicht weit kommen. Personen ersten Ranges, die zu Entdeckungen gelangen, welche für die wissenschaftliche Entwicklung von grundlegender Bedeutung sind. Aber dann gibt es noch die Genies wie Galilei und Newton. Ettore Majorana war ein solches Genie", sagte Enrico Fermi nach dem Verschwinden des italienischen Ausnahmephysikers 1938.

Fermi war der Begründer der modernen italienischen Physik, er - Nobelpreisträger von 1938 - war der Vater der berühmten "Römischen Gruppe" am Institut der Via Panisperna im Zentrum der italienischen Hauptstadt, die 1934, ohne es zu wissen, die erste Kernspaltung durchführte.

Neun wissenschaftliche Publikationen

Am römischen Institut fand die theoretische Physik erstmals in Italien eine Heimstatt und Anschluss an die wissenschaftlichen Entwicklungen in Europa. Ettore Majorana war ein erfahrener Rechner und profunder Mathematiker, der allerdings nie das dahinter liegende physikalische Problem aus den Augen verlor.

1928 stieß der junge Sizilianer, der Ingenieurswissenschaften studiert hatte, zur römischen Physikertruppe. Er hatte eine äußerst skrupulöse Art, Wissenschaft zu betreiben, dem Perfektionisten erschien vieles als publikationsunwürdig. Was Majorana dennoch veröffentlichte, musste ihm von den Kollegen, regelrecht abgerungen werden. Am Ende waren es neun wissenschaftliche Publikationen, die er zu Lebzeiten publizierte. Später werden sie mit den 9 Sinfonien Beethovens verglichen.

Generalisierung der "Dirac-Gleichung"

Ettore Majorana legte 1932 seine erste fulminante Arbeit vor: Titel: "Relativistische Theorie von Teilchen mit einem intrinsischen arbiträren Moment". Es handelt sich um eine Erweiterung der nur mit Elektronen, Protonen und Neutronen funktionierenden "Dirac-Gleichung", die für Teilchen mit dem Drehimpuls, dem Spin ½ und Spin 0 funktioniert, zu einer Gleichung mit einer infiniten Anzahl von Komponenten.

Die Austauschkräfte

1933 gelingt es Majorana, Struktur und Stabilität des Atomkerns durch "Austauschkräfte" zwischen Protonen und den neu entdeckten Neutronen zu erklären.

Seine Kerntheorie, die dazu führt, dass der Vater der Quantenmechanik Werner Heisenberg seine eigene Kerntheorie in einem wesentlichen Punkt korrigieren muss, erscheint 1933 in der renommierten "Zeitschrift für Physik".

Das "Majorana-Neutrino"

Im selben Jahr 1933, in dem er einige Monate in Leipzig und Kopenhagen verbringt, arbeitet er vermutlich schon an seiner "Symmetrischen Theorie des Elektrons und Positrons", in der er die Elementarteilchen aufgrund von Symmetrieüberlegung beschreibt: ein Teilchen kann gleich seinem Antiteilchen sein.

Eine Konsequenz aus Majoranas symmetrischer Theorie ist, dass ein neutrales "Fermion", also ein Teilchen mit halbzahligem Spin, mit dem eigenen Antiteilchen übereinstimmen muss. Majorana schlägt vor, dass die Neutrinos Teilchen dieses Typs sein könnten.

Majoranas Theorie erweist sich als richtig, wird sich aber erst 20 Jahre später unter den relativistischen Teilchenphysikern durchsetzen. In der modernen Physik spricht man heute vom "Majorana-Neutrino". Es ist das bekannteste unter den wenigen wissenschaftlichen Erbstücken des genialen, aber eigenwilligen Physikers.

Lehre der Relativitäts- und Quantentheorie

Kurz vor seinem Verschwinden 1938 erhält Ettore Majorana eine Professur an der Universität von Neapel. Er versucht, seinen fünf Studenten - mehrheitlich Frauen - die in Italien noch kaum akzeptierte Relativitäts- und Quantentheorie nahe zu bringen.

Am 25. März 1938 wurde die Vorlesungsreihe unterbrochen. Ettore Majorana gilt seitdem als verschollen.

Mehr zum Fall Majorana in oe1.ORF.at
Die Atombombe und die Verantwortung des Wissens
Der Mythos Ettore Majorana
Das Leben und Verschwinden des Ettore Majorana

Hör-Tipp
Dimensionen, Dienstag, 1. August 2006, 19:05 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipp
Leonardo Sciascia, "Das Verschwinden des Ettore Majorana", Wagenbach, ISBN 3803112184.

Film-Tipp
Das Verschwinden des Ettore Majorana
Dokumentation, BRD, 1986
Drehbuch und Regie: Donatello Dubini und Fosco Dubini